Zeitreisen

February 2025
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Mir ist kalt. Meine Hände zeigen mir deutlich durch ihre Trockenheit und Empfindlichkeit: „Es reicht! Wir hätten gerne endlich mehr Sonne und mehr Wärme.“ Die Fastnachtskrapfen zeugen von der aktuellen Jahreszeit, demnächst wird es wohl die ersten Schokoladen-Eier im Supermarkt geben. Und der Wetterbericht kündigt eine Rückkehr des Winters an. Am nächsten Wochenende steht ein Seminar und eine kleine Reise an, das kommende Wochenende verspricht angenehm ruhig zu werden.

Vergangenheit, Zukunft, …

Mentale Zeitreisen sind normal und alltäglich. Unsere Gedanken bewegen sich viel in die Zukunft, sind mit Planung und Vorbereitung beschäftigt, mit probeweisem Üben von Vorträgen oder mit vorfreudigem Ausmalen von schönen Ereignissen. Vieles davon muss sein, sonst wäre der Kühlschrank immer leer. Sonst würde mein Sohn ohne Geschenk zur Geburtstagsfeier seines Freundes auftauchen. Oder ich wäre für meine Kurse nicht vorbereitet. Im Austausch mit Kursteilnehmer*innen betone ich auch immer, dass wir die Zukunft selbstverständlich planen müssen, aber eben das auch ganz bewusst machen sollten: JETZT setze ich mich hin und plane die nächste Schulstunde, das kommende Projekt, die nächste Reise. Single-tasking: Planung und Vorbereitung.

Und dann schweifen wir immer wieder ab, reflektieren über Vergangenes, gehen noch einmal einzelne Schritte durch und überlegen, wo der Fehler lag. Oder wir durchleben noch einmal diesen wunderbaren Sonnenuntergang im schneeverwöhnten Norwegen und erinnern uns an die himmlische Stille und Schönheit der Natur. Besonders wenn die Gegenwart gerade als langweilig empfunden wird oder als unbedeutend, ziehen wir gedanklich weiter, zum Beispiel weil wir zum wiederholten Male etwas tun und das Gehirn einfach abschweift. Es ist schlicht nicht spannend, dreimal in der Woche nasse Wäsche aufzuhängen – wir verlassen die Realität, stellen den Autopiloten an und denken an etwas anderes. Auch entfliehen wir der Gegenwart bewusst oder auch unbewusst, wenn wir uns nicht besonders wohl fühlen. Dann lenken wir uns ab mit einer Aktivität, die uns ein besseres Gefühl vermittelt.

All das ist nicht neu. Ebenfalls nicht neu ist die Tatsache, dass Achtsamkeit die Kunst ist, das Leben zu leben, das JETZT gerade da ist. Immer wieder, wenn wir uns erinnern: „Jetzt bin ich hier. Was passiert gerade eigentlich?“, dann kommen wir zurück und schauen neugierig nach außen und innen.

Vergangenheit und Zukunft – gibt es eigentlich nicht?

In einem Kurs mit Will Kabat-Zinn kürzlich hörte ich einen Beitrag von ihm, der so einleuchtend ist und mir dennoch noch nie selbst klar wurde: Wenn wir gedanklich in der Vergangenheit oder Zukunft sind, sind wir doch immer hier und jetzt. Der INHALT des Gedanken mag zeitlich von der Gegenwart abweichen. Der Gedanke selbst jedoch, den denken wir JETZT. Ich sitze hier und denke jetzt gerade an den Ausflug in der nächsten Woche. Umgangssprachlich sagen wir: „ich bin gerade in der Vergangenheit / in der Zukunft.“ Wir sind aber immer hier und jetzt, wo der Körper ist. Und auch der Gedanke an die Zukunft entsteht in diesem gegenwärtigen Körper. Diese Wahrheit einsickern zu lassen machte mir einmal mehr deutlich, wie stark wir doch immer wieder mit unseren Gedanken verschmolzen sind und uns darin verlieren.

Dieses feine Unterscheidung, die – wenn wir sie wirklich zulassen können – die eigene Praxis und Wahrnehmung unglaublich vertiefen kann, mag zwar im Alltag für viele völlig irrelevant sein. Wenn wir dies aber nicht nur auf die Zeit übertragen sondern zum Beispiel auf das Thema Schmerz oder körperliches Unwohlsein, dann können sich auch hier neue Pisten eröffnen. Wie oft passiert es, dass wir bei einem Schmerz gedanklich in die Zukunft gehen und uns große Sorgen machen: „Was ist, wenn das einfach nicht besser wird? Wie wird es mir wohl in einem Jahr gehen?“ Oder wir denken an die Vergangenheit: „Warum kann es nicht mehr so sein wie damals?“ Dann geht es ganz rasch nicht mehr um den Körper hier und jetzt, sondern um die Gedanken und Emotionen. Und obwohl sich gedanklich alles um den Körper dreht, kann es sein, dass wir vor lauter Nachdenken und Vorfühlen ganz vergessen, uns um den AKTUELLEN Zustand zu kümmern und selbstfürsorglich zu schauen, was JETZT gebraucht wird. Wenn wir verstehen, dass all diese sorgenvollen Gedanken und Emotionen auch JETZT GERADE sind, können wir uns daran erinnern, dass all dies in diesem Moment gegenwärtig ist und zusammen mit dem Körper Fürsorge braucht. Der eine Teil braucht körperliche Sorge, ein anderer Selbstmitgefühl, wieder ein anderer vielleicht die Erinnerung an vergangene Schwierigkeiten: „Ich kann das.“

„Jetzt bin ich hier.“

Mein Mantra für den Alltag lautet seit Jahren eine Erinnerung an mich selbst: „Jetzt bin ich hier.“ Das hat noch einmal einen ganz neuen Sinn erhalten. Wo ich es bisher vor allem als Erinnerung genommen habe, um den Körper hier und jetzt zu spüren, wie er gerade sitzt und Kontakt zum Stuhl hat und die Schwerkraft wirkt, so ist er nun zusätzlich die Erinnerung: jetzt sind auch meine Gedanken, was auch immer ich gerade denke. Jetzt sind bei mir auch diese Emotionen. Und jetzt dringen Töne einer Filmmusik an mein Ohr, die wiederum parallel Bilder aus diesem Film ablaufen lassen. All das ist jetzt gegenwärtig. Alles ist jetzt.

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