Es gibt Phasen im Leben, das herrscht Verunsicherung vor. Gerade befinde ich mich in einer solchen Phase, und ich glaube, es geht vielen Menschen so. Global gab es in den vergangenen Monaten viele Herausforderungen und Konflikte, deren friedliches Ende nicht in greifbarer Nähe scheint. Fest geglaubte Ordnungen wurden erschüttert, und das verunsichert zutiefst. Der Klimawandel ist in vollem Gange und hinterlässt ein schreckliches Gefühl von Ohnmacht und diffuser Angst. „Einfach keine Nachrichten lesen“ ist für mich persönlich keine Option, und so wird das Innerste immer wieder sehr aufgewühlt, auch wenn ich sehr aufpasse, wie viele Informationen ich an mich lasse.
Alles darf sein
Alles darf sein, so lautet ein Mantra für die Achtsamkeitspraxis. Verunsicherung ist eine genauso gleichwertige Emotion wie Mitfreude, Stolz oder Enttäuschung. Also gehört auch die Verunsicherung zu den Gewürzen des menschlichen Lebens. Unser Gehirn spinnt Geschichten von „noch niemals so schwierig“ und „und was, wenn das nie …?“ und verstärkt die Emotionen, hält sie am Leben und in voller Blüte. Und natürlich ist da noch viel mehr als nur Verunsicherung. Ich habe Kinder – in was für einer Welt werden sie leben? Und dann die Erkenntnis: Aber sie haben ja nicht den Vergleich mit anderen Zeiten. Für sie ist DIESES Leben normal, und sie werden ihren Weg finden, um damit umzugehen.
Wir müssen also aufpassen, dass wir unseren Gedanken nicht völlig freien Lauf lassen. Die natürlicherweise vorhandene Negativitätstendenz schickt unsere Gedanken oft auf wilde Fahrten und es scheint, als sei längst alles verloren. Und dann gibt es ja auch noch die kleinen und großen Tragödien unseres eigenen Lebens. Das Leben ist schwierig, machen wir uns nichts vor. Ohrenschmerzen vor Urlaubsbeginn,Vokabel-Streitereien, der Supermarkt führt die Lieblingsmarke plötzlich nicht mehr, die Waschmaschine geht kaputt, das Arbeitspensum verlangt wieder einmal eine Abendschicht am Computer und Leon von nebenan „darf aber viel mehr als ich!“ Da passiert es sehr schnell, dass wir das Gefühl kriegen: es ist alles zu viel. In der Überforderung wiederum funktioniert das Gehirn nicht so gut, wir bekommen den Weitblick nicht mehr hin und sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht – und dann sind wir verunsichert, denn überall scheinen nur noch Probleme und neue Aufgaben zu lauern.
Luft holen
Wenn wir uns nicht immer wieder dazu bewegen können, innezuhalten, dann bekommen wir nicht genügend Luft. Ja, unser Körper hält uns am Leben, er atmet glücklicherweise von selbst – „sonst wären wir längst tot, wenn wir uns auch noch um das Atmen kümmern müssten!“ (O-Ton Jon Kabat-Zinn) Um wirklich zu leben, braucht es aber mehr als ein- und auszuatmen. Es braucht die Pausen dazwischen, es braucht das bewusste Luftholen, das erleichternde Ausatmen und Seufzen, das Loslassen, das Seinlassen. Wir können die Schwierigkeiten nicht wegatmen, das wäre ja auch zu schön. Wir können aber in der Schwierigkeit dafür sorgen, dass wir nicht in einen Strudel geraten, der einfach nicht hilfreich ist.
Innehalten, einatmen, den Körper spüren, und sich mit einem etwas klareren Kopf überlegen: „Und jetzt?“ Was steht als nächstes an? Was ist jetzt zu tun? Manchmal kann man etwas Konkretes tun, manchmal besteht „leben“ in diesem Moment aus reiner Präsenz mit dem Unangenehmen. Das müssen wir lernen, denn es ist gar nicht so einfach. Was wir aber bewusst mehr in den Fokus bringen können, das ist Zuversicht.
Zuversicht
Schon bei der kleinsten Einheit unseres Lebens können wir das beobachten: der nächste Atemzug kommt. Wir atmen aus, dann ist da eine Pause, und dann wird das nächste Einatmen kommen. Es geht immer weiter, so lange wir leben. Es gibt immer einen nächsten Schritt, einen nächsten Atemzug. Das bedeutet auch, dass es immer eine neue Fülle an Möglichkeiten gibt, wie wir diesen nächsten Moment gestalten. Und das gilt natürlich für alle Menschen. Noch etwas ist sicher: egal wie konkret die Zukunftspläne sind, es kommt immer anders, wenn auch nur ein kleines bisschen. Ein gutes Beispiel sind Hochzeiten. Diese planen wir Menschen zuweilen so intensiv und detailreich, die Frisur, das Kleid, die Gäste, die Sitzordnung, die Getränke und das Essen, und so weiter und so fort. Und trotzdem gibt es auch hier unzählige Momente, die anders, neu oder unerwartet sind. Und dieser neue oder unerwartete Moment wiederum beeinflusst den nächsten. Und dann den nächsten. Sicher, es gibt eine ungefähre Linie, einen roten Faden, an welchen wir immer wieder anknüpfen. Dennoch gibt es keinen Zweifel, dass das Leben weitergeht, egal was passiert. WIE es weitergeht, das wissen wir nicht. Aber es gibt doch immer wieder unzählige kleine Stellschrauben, und diese verändern wiederum alles, was danach kommt.
Zuversicht ist eine innere Haltung, die wir stärken können. Genau wie Dankbarkeit können wir unser System bewusst darauf ausrichten, mehr davon zu entwickeln. Besonders dann, wenn wir merken, dass unsere Gedanken düster werden und sich Zukunftsängste einstellen, können wir Luft holen und uns im Körper verankern. Wir können spüren, dass wir jetzt gerade hier stehen oder sitzen, von der Erde oder von einem Gegenstand getragen werden, und dass wir atmen. Wir können uns daran erinnern, was wir in unserem Leben schon alles geschafft haben, obwohl wir vorher vielleicht zweifelten oder verunsichert waren, ob das überhaupt geht. Wir können wahrnehmen: das Leben ging immer weiter, bis zu diesem Moment hier. Wir können uns bewusst machen: Jetzt bin ich hier. Und jetzt? Was soll mein nächster Schritt sein? Was – egal wie klein oder unbedeutend es uns auch vorkommen mag – könnte ein kleines bisschen dazu beitragen, dass ich gut für mich sorge? Vielleicht müssen wir jetzt gerade auf die Toilette gehen. Vielleicht holen wir uns etwas zu essen oder zu trinken. Vielleicht setzen wir uns auf das Sofa oder auf einen Stuhl und schließen die Augen. Vielleicht denken wir an eine uns wichtige Person oder suchen den Kontakt. Vielleicht holen wir auch einfach ganz bewusst Luft und atmen dann wieder aus.
Was auch immer Du tust, es ist gut genug. Lebe einfach weiter, einen Schritt nach dem anderen, einen Atemzug nach dem anderen. Stärke die Zuversicht, übe die Dankbarkeit für die kleinen und großen Dinge und hör nicht auf, deiner inneren Sehnsucht zu folgen.