Vor ein paar Tagen schwirrten ganz viele Ideen in meinem Kopf herum, über die ich schreiben könnte. Jetzt gerade ist es leer. Da ist so viel zugegen in meinem Alltag, dass die Kreativität kaum Raum findet. Gerade steigen die Infektionszahlen wieder, und das verstärkt die Verunsicherung. Gleichzeitig habe ich in den vergangenen Wochen und Monaten die Achtsamkeitspraxis kennengelernt als das, was ich mir von ihr in herausfordernden Zeiten erhofft hatte: mein Anker, mein Rettungsring, mein Surfbrett. Also komme ich zurück zu dem, was gerade da ist.
Der Kopf denkt und denkt und denkt
Jeden Tag direkt nach dem Aufwachen greift sich der innere Kommentator das Mikrofon und teilt mit, wie ich geschlafen habe, dass ich gestern besser früher ins Bett gegangen wäre, dass der Tag heute anstrengend werden könnte, dass ich keine Lust auf Einkaufen habe, ob ich heute wohl Zeit für einen Spaziergang finde, und so weiter und so fort. Ungefragt und ungewollt läuft die Maschinerie an und spult ihr Programm ab, ob beim Frühstück, beim Arbeiten, beim Einkaufen oder bei Gesprächen. Der Kopf denkt und bewertet und plant und redet sich (und mich) mitunter um Kopf und Kragen.
Wir sind oft so daran gewöhnt, unsere inneren Stimmen und Anteile zu hören, dass wir meist gar nicht in Frage stellen, was sie da von sich geben. Der innere Kritiker maßregelt mich und meinen Zucker- und Koffeinkonsum. Die Rebellin verbringt die Mittagspause mit YouTube-Videos von uralten Flashmobs und hat keine Lust auf lesen oder Sonne tanken. Ein wütender Anteil regt sich auf über das Verhalten von Menschen, die in den sensationshungrigen Medien bloßgestellt werden. Der innere Antreiber erlaubt keine allzu langen Pausen, es muss noch so viel erledigt werden! Das brave Kind fügt sich und arbeitet ohne zu murren und ohne die Pausesignale des Körpers zu beachten. Ein ängstlicher Teil kommt nach dem Lesen der Nachrichten zum Vorschein.
Denken ist kein Fehler, aber nicht immer hilfreich
Die mentalen Kommentare sind kein Fehler. Die inneren Teile entstehen aus unserer Geschichte und unserem Leben, seitdem wir auf der Welt sind. Der Umgang mit dem inneren Familiensystem (ifs) ist eine zutiefst spannende Forschungsreise, die von Richard C. Schwartz vor einigen Jahren beschrieben wurde. Wie es möglich ist oder ob es überhaupt eine Resonanz erzeugt, die verschiedenen inneren Anteile kennenlernen zu wollen, ist hier nicht wichtig. Die Geschwätzigkeit des Geistes aber kennt wohl jeder. Noch einmal: das ist kein Fehler, so funktioniert einfach das Gehirn. Es denkt, so wie die Lungen atmen und das Herz schlägt.
Die wichtige Frage hierbei sollte jedoch immer sein: „Ist das hilfreich?“ Wenn ich das Programm meines nächsten Kurses erstelle und dabei kommt mir ein vergangener Workshop in den Sinn, in welchem ich mich dermaßen verhaspelt habe, dass ich den Faden verlor. Und überhaupt waren da nur 4 Leute dabei. Muss ich mehr Werbung machen? Liegt es an mir oder am Thema? Aber eigentlich macht es mir ja immer Spaß, egal wer vor mir sitzt. Trotzdem wäre es schon nett, mehr Zulauf zu haben. Und diese eine Person hat dermaßen gelangweilt geguckt. Und der Ort war auch nicht gerade ideal, die Musik-Gruppe im Nebenraum störte ziemlich. Ach, das Geigespielen damals im Orchester hat schon Spaß gemacht. Schade, das hätte ich auch gerne mal wieder, aber ich habe ja keine Zeit… – und anstatt kreativ und inspiriert zu arbeiten, kommen Emotionen und Gedanken in einem fort, die auch meinen Körper unter Strom stellen. Die Antwort auf die Frage ist also sehr oft: „Nein, das ist jetzt nicht hilfreich.“
Was ist da sonst noch präsent?
Wenn wir uns lösen von den inneren Kommentaren, die oft ach so wichtig scheinen, dann wird aus dem Affengeist, der von Gedanke zu Gedanke springt, ein Wahrnehmen dessen, was ist, ein dies und das. Ich bin aufgewacht, und die Beine fühlen sich noch etwas schwer an, und ich habe keine Lust aufzustehen, und ich eile mit den Gedanken schon in den Tag, und ich atme, und es ist 5:47 Uhr, und ich habe Durst, und das Bett ist sehr warm und gemütlich, und ich höre draußen einen Hahn krähen, und Tageslicht dringt durch die offene Tür zum Gang, und heute ist Donnerstag … Das Gewahrsein nimmt alles wahr, was jetzt gerade Teil des Lebens ist – und eben nicht nur das mentale Geschnatter, das oft so prominent und drängend scheint. Dies ist nur ein Bruchteil dessen, was das Leben ausmacht. Wir sind viel mehr als unsere Gedanken. Wir sind das Gewahrsein hinter den Gedanken, das bemerken kann: da ist ein Gedanke. Und im Bauch spüre ich den Atem. Und da ist ein Klang. Und da ist eine Empfindung im linken Knie.
Nicht „aber“, sondern „und“
Immer dann, wenn die Gedanken mich wegzutragen drohen in Ängste, in Zukunftssorgen, in „Was ist mit dem geplanten Urlaub?!“, in das Gefühl der Bodenlosigkeit und des Kontrollverlusts, in ein „ja, aber … das nervt/ist schwierig/stresst mich“, immer dann versuche ich mich an die Frage zu erinnern: Ist das hilfreich? Und ich versuche, meine Wahrnehmung auszuweiten. Was ist sonst noch da außer diesem Gedanken? Im MBSR-Kurs erwähne ich immer die Metapher vom Teelöffel Salz. Ein Teelöffel Salz in einem Glas Wasser macht das Wasser ungenießbar. Der gleiche Teelöffel Salz in einem See ist nicht von Bedeutung. Ja, das innere Kommentieren ist da und ist zuweilen auch hilfreich, notwendig oder lehrreich. Oft ist es aber einfach nur Geschnatter, und dann – oder eigentlich immer – geht es darum zu schauen, was noch da ist. Ein Wahrnehmen von „und“, nicht „aber“.
P.S. Die Achtsamkeitspraxis endet nicht hier im Beobachten des gegenwärtigen Moments, denn es ist heute wichtiger denn je, dass wir uns engagieren und in das Leben einbringen, um Probleme zu lösen und Ungerechtigkeiten abzustellen. Aber die Basis von allem sinnvollen und nachhaltigen Handeln ist die Verankerung im Hier und Jetzt und die Selbstregulierung. Und manchmal ist das alles, was wir gerade tun können.