Während der Dauer eines Kurses verschicke ich sogenannte „Zwischenrufe“ für die Zeit zwischen zwei Treffen. Sie sollen die Teilnehmer dabei unterstützen, den Autopiloten und den Alltagstrott mit achtsamen Pausen immer wieder zu unterbrechen. Das ist nämlich oft das Schwierigste an der Praxis: sich daran zu erinnern.
Sich Zeit nehmen – gar nicht so einfach
Nach dem ersten Teil des kürzlich zu Ende gegangenen „Selbstfürsorge“-Kurses und den üblichen Fragen zu diesem Thema („Wie nehme ich mir aber Zeit für Selbstfürsorge? Wie geht das, mir das zu erlauben? Es ist einfach immer alles so viel!“) unternahm ich nach einem besonders gefüllten Wochenende die Forschungsreise in meinem eigenen Alltag: Wie sieht gelebte und authentische Selbstfürsorge für mich aus? Was nun folgt, schreibe ich nicht, weil es „richtig“ ist – es mag vielmehr als Erklärung dienen, wie ich ganz individuell Selbstfürsorge für mich definiere und praktiziere, und kann dadurch vielleicht Inspiration sein, im eigenen Alltag zu forschen.
Selbstfürsorge kann natürlich bedeuten, sich eine Massage zu buchen oder einen halben Tag frei zu nehmen. Es mag auch sein, dass wir Eltern essen gehen und die Kinder für ein paar Stunden von der Großmutter betreut werden. Diese konkreten Zeitinseln aber sind sehr selten geworden in den letzten Monaten und immer abhängig vom außen und von der Bereitschaft der beteiligten Menschen, anderen etwas Freiraum zu gönnen.
Selbstfürsorge im Alltag – ohne zusätzlichen Zeitbedarf
Was bleibt also? Was bleibt, ist die alltägliche und ganz und gar von außen unabhängige Selbstfürsorge.
Hier kommen ein paar Beispiele:
- Staubsaugen nachdem der Besuch gegangen ist. Wenn das Haus voller Menschen war, gegessen und getrunken wurde und es ein reges rein und raus gab und patschige Kinderhände, dann sieht das Zimmer entsprechend vollgekrümelt und benutzt aus. Als also kürzlich die Familie gegangen war und ich müde aber zufrieden die Füße hochlegen wollte, habe ich zunächst kurz das Wohnzimmer und die Küche staubgesaugt. Weshalb? Weil ich weiß, dass meine Bedürfnisse nach Sauberkeit und Gemütlichkeit sich ergänzen und eine Entspannung auf dem Sofa für mich dann besonders wirkungsvoll ist, wenn das Zimmer halbwegs sauber und aufgeräumt ist und ich mich wohl fühle.
- Die Spülmaschine abends leeren und neu befüllen. Selbstfürsorge bedeutet für mich oft, abends noch die Spülmaschine zu leeren und befüllt anzustellen, ehe der Tag endet. (Sie stellt sich dann in der Nacht von selbst aus.) Weshalb? Weil ich weiß, dass ich morgens oft die Uhr im Blick habe, den Kindern Brote machen und müde Kinder zum Zähneputzen bewegen muss und auch sonst einiges zu tun habe. Da hilft es mir, nicht direkt von dreckigem Geschirr auf der Spüle begrüßt zu werden. Diese Arbeit abends zu machen ist für mich angenehmer als morgens. Es senkt den Stresslevel und lässt mich den Tag nicht mit Altlasten beginnen.
- Brot zum Abendessen. Zweimal in der Woche ist Fußball-Training für meinen Sohn und ich bin zusätzlich unterwegs für das Hobby meiner Tochter. Am Ende dieser Tage habe ich keine Lust und keine Energie fürs Kochen, und es gibt belegte Brote. Einige Familienmitglieder hätten es lieber anders, aber so ist es. Weshalb? Weil ich mir herausnehme, selbstbestimmt und selbstfürsorglich zu sein an diesen Tagen, an welchen ich die Hauptlast der Termine trage.
- Podcasts während der Hausarbeit. Selbstfürsorge bedeutet auch, dass ich mir die Dinge, die ich machen muss, möglichst angenehm bereite. Während ich Gemüse schneide, Pfannen putze oder die Wäsche aufhänge, höre ich Podcasts. Weshalb? Weil es mir ein Bedürfnis ist, informiert zu sein, inspiriert zu werden, neue Geschichten und Ideen zu hören und Momente der Freude zu erleben – auch während ich nasse Socken sortiere.
Selbstfürsorge von mir und für mich
Es gibt noch viele solcher Beispiele, die alle etwas gemeinsam haben: Ich muss dafür weder Zeit freischaufeln noch irgend jemanden um Erlaubnis bitten. Es ist Selbstfürsorge von mir und für mich, weil ich mich kenne und weiß, was ich brauche – generell und im jeweiligen Moment. Nein, die Spülmaschine räume ich nicht immer aus, öfters macht das auch mein Mann. Und die Kinder müssen auch die Wäsche aufhängen. Es wird nicht zum Selbstläufer („Mama macht das schon, sie mag es ja nicht dreckig.“), sondern es ist genauso Teil der Selbstfürsorge, mich nicht ausnutzen zu lassen. Wenn Dinge liegen bleiben, weil andere Familienmitglieder erst später, als es mir lieb ist, den Tisch putzen, dann ist das eine gute Gelegenheit zu üben: Sein mit dem was ist. Und: So ist es jetzt, auch wenn es mir nicht gefällt. Wie gehe ich damit um? Was erzählen mir meine Gedanken? Kann ich den Impuls verspüren, es jetzt doch schnell selbst zu machen – und ihn vorüberziehen lassen?
Der letzte Akt der Selbstfürsorge an einem Tag ist ebenfalls völlig unabhängig von anderen Menschen: ich beende den Tag nicht mit dem Lesen von Nachrichten (auf dem Handy oder Tablet), sondern lese im Bett höchstens noch ein paar Seiten in einem Buch oder reflektiere, was heute schön und nährend war.
Zum Schluss noch eine wichtige Anmerkung: nichts ist perfekt, auch nicht die aufgezählten Punkte oder mein Lauschen nach innen. Manchmal rege ich mich (innerlich oder sichtbar) auf, weil ich das Gefühl habe, ich würde mehr machen als die anderen. Manchmal habe ich erst abends Lust und Zeit für die Nachrichten, und dann benutze ich das Handy im Bett. Und manchmal habe auch ich überhaupt keine Lust auf Brot zum Abendessen. Aber das Leben ist eben nicht perfekt, und es gibt immer wieder einen neuen Moment, um zu schauen: Was brauche ich, genau jetzt? Und dann fange ich einfach wieder neu an.