„Das hast du wieder toll hingekriegt!“ Diese Stimme ist mir wohlbekannt. Sie meldet sich zuverlässig ungefragt zu Wort, immer dann, wenn es ohnehin schon schwierig ist. Das ist nicht hilfreich! Aber sie kommt immer wieder. Wie ein ungebetener Gast, der mich bewusst reizen will. Mit ihr im Gepäck: Ärger, Enttäuschung, und vor allem Scham. Dieses unangenehme, klebrige Gefühl in der Magengegend, das einfach nicht weggehen will.
Emotionen gibt es nur im Paket
Bald ist Weihnachten. Ich hätte gerne ein Päckchen Unbeschwertheit, ein paar Tüten ungebremste Freude, eine Stange Zufriedenheit und ein Fass voll Akzeptanz. Und wenn noch Platz ist, dann gerne auch noch etwas Geduld. Wie wäre das schön, sich nur die Rosinen rauspicken zu können…
Emotionen gibt es nur als Gesamtpaket: all inclusive. Ärger, Angst, Glück, Langeweile, Traurigkeit, Stolz, Scham, und so weiter. Wie der Dichter Rumi sagt: „Das menschliche Dasein ist ein Gasthaus.“ Alle Emotionen sind zahlende Gäste, die zu bewirten sind. Es spielt keine Rolle, wie sie angezogen sind, was für eine Vorgeschichte sie haben oder wieviel Gepäck dabei ist. Es sind einfach nur Gäste, einer nicht besser als der andere. Sie kommen, bleiben, und reisen wieder ab.
Von außen betrachtet ist es sehr einfach: alle sind gleichwertig. Eine Emotion ist eine Emotion. Es ist eine Erscheinung, die kommt und geht, wie das Wetter. Einfach eine Information darüber, wie es uns gerade geht. Als Träger einer unangenehmen Emotion ist das dann aber nicht mehr so einfach: da entsteht oft das Gefühl, mitten im Sturm zu stehen, alles zerrt und zieht, man kann nicht klar denken, da ist nur ein Wasserfall an möglichen Erklärungen, Schuldzuweisungen oder Beschimpfungen, und der Körper bereitet sich auf Flucht oder Kampf vor. Kein Wunder, dass der Mensch ziemlich clevere Wege gefunden hat, um dem Sturm zu entfliehen: Arbeitswut, Stressessen, TV oder andere Medien, ausgehen, leugnen („Es ist alles ok!“), die Augen verschließen.
Ungesunder Umgang mit Emotionen
Dieses Wegrennen vor der Empfindung, wie auch immer das nach außen hin aussehen mag, ist nicht gesund für den Körper, sehr ermüdend für die Seele und am wichtigsten: es hilft einem überhaupt nicht, sich gegen den nächsten Sturm zu wappnen. Und der wird kommen, garantiert. Es ist ein Teufelskreis: Egal wie sehr wir uns vornehmen, es beim nächsten Mal besser oder anders zu machen, wir werden wieder überrollt werden, denn s.o.: „man kann nicht klar denken.“ Also bringt das Vorbereiten und Planen überhaupt nichts, denn im Sturm arbeitet der Kopf nicht. Er funktioniert lediglich im Überlebensmodus.
Zulassen, durchlassen, loslassen
Was meiner Erfahrung nach – und der unzähliger anderer Menschen – als einziges hilft, ist, die Tür des Gasthauses zu öffnen. Gefühle sind da, um gefühlt zu werden. Emotionen zeigen sich im Körper, dann können wir sie als Gefühle wahrnehmen. Da sind Anspannung, Magendruck, Knoten im Hals, Tränen, Lächeln, etc. Und dann gehen sie wieder. Einfach so. Eine Emotion dauert nur ein paar Dutzend Sekunden, dann ist sie weg. Wie die Wolke am Himmel, die vom Wind verweht wird. Dass der Ärger, die Angst, die Traurigkeit doch meist sehr viel länger andauern, dann liegt es daran, dass unsere Gedanken sie füttern. „Hätte ich doch…“, „Aber warum hat er…?!“, „Was, wenn…?“ Wir Menschen sind Meister im Visualisieren, im Erinnern, im Alternativen-Wälzen, im Rumbohren in alten Wunden. Und damit verlängern wir künstlich, was biologisch eigentlich nur eine kleine Welle ist, die natürlicherweise wieder abebbt, wenn wir sie nur lassen würden.
Dieses Bemerken der Welle, des aufziehenden Sturms, ist nicht einfach – aber man kann es lernen. Und dann kann man sich dafür wappnen, den Sturm durchziehen zu lassen. Aufhalten kann man ihn ohnehin nicht. Fest verwurzelt, auf sich vertrauend, und im Wissen, dass es vorübergehen wird. Die Übung besteht darin, z.B. den Ärger zu spüren (Körper spannt sich an, die Gedanken rasen, es wird laut im Kopf), zu erkennen, dass der Ärger eigentlich nur diese verdammt unangenehme Hilflosigkeit übertünchen möchte (erstaunlich, wie machtlos kann man sich Kindern gegenüber fühlen kann…), den ersten reaktiven Handlungsimpulsen nicht zu folgen, sondern sich bewusst zu entscheiden, was jetzt wirklich hilfreich und sinnvoll ist.
Die eigene Sturmmaschine nicht anwerfen…
Soviel zur Theorie. Die Praxis sieht so aus, dass der Sturm mich immer und immer wieder von den Socken haut. Und dann ist die zweite Übung überlebenswichtig: wenn die Situation äußerlich beendet ist, den inneren Sturm nicht mit den eigenen Regen- und Windmaschinen verlängern. Auch das kann man lernen. Diese Übung funktioniert bei mir beispielsweise so:
- Zunächst dem inneren, oft gehässigen Kommentator nicht unendlich zuhören. „Danke, habe ich gehört. Nicht hilfreich. Ich weiß selber, dass das nicht gut war.“
- Sich bewusst nicht ablenken, sondern die Situation noch einmal vor Augen führen und bemerken, wo der Wendepunkt war, an dem es kippte, und warum man ihn nicht wahrgenommen hat.
- Die Emotionen zulassen, die Scham spüren und die Enttäuschung. – Ja, das ist schwer, aber unerlässlich. Die Emotionen sind ohnehin da, auch wenn wir sie nicht wahrhaben wollen. Doch wenn sie im Unterbewusstsein schwelen, beeinflussen sie unsere Stimmung und unseren Zustand, ohne dass wir es merken.
- Sich selbst eine Freundin/ein Freund sein. „Ich verstehe, dass du dich schlecht fühlst. Es ist ok. Es geht wieder vorbei. Sei nicht so streng mit dir.“ Oder was auch immer ein guter Freund/in sagen würde. Oder einfach nur eine Hand aufs Herz legen? Was auch immer ein Gefühl von Sanftheit und Mitgefühl vermittelt.
- Sich dann vorstellen, wie diese Situation mit einer achtsamen und zugewandten Haltung wohl verlaufen wäre. Wenn sich das stimmig anfühlt, dann diesen Zustand spüren. Und es bei der nächsten Gelegenheit erneut versuchen…
Ach ja, und hilfreich ist immer eine ehrliche Entschuldigung, egal ob nach 2 Stunden oder 2 Tagen. Ohne Schuldzuweisung, ohne etwas zu erwarten. Einfach nur, weil es sich richtig anfühlt. Und dann loslassen und von neuem beginnen.