Es ist ein Tag wie jeder andere. Die Routine bestimmt den Tagesrhythmus. Aufstehen, frühstücken, die Kinder versorgen und in die Schule bringen, arbeiten, die Kinder abholen, zum Schwimmunterricht bringen oder was sonst so ansteht. Jeder Tag ist irgendwie ähnlich und doch natürlich einzigartig. Es ist eine endlose Abfolge von Pflichten und Aufgaben, erfüllten oder unerfüllte Wünschen, Verlangen und Vermeiden, sich gut fühlen und verärgert sein. Das ist das Leben. Jeder Mensch reitet täglich auf der Achterbahn der Gefühle, angetrieben vom Getriebe der Gedankenfabrik.
Kürzlich geriet eines meiner Kinder in einen emotionalen Strudel voller Wut und Aggressivität und es dauerte sehr lange, die heiße Phase zu überstehen, nach der es physisch keinen mehr angriff, sondern nur noch für sich wütete. In der Zeit des Sturms versuchte ich, mit Achtsamkeit, Mitgefühl und Freundlichkeit zu agieren, mal mehr und mal weniger erfolgreich. Ich bemerkte meine eigene Wut, doch ließ die Situation keine Zeit für Pausen, für Durchatmen – und es entstand ein Teufelskreis aus sich steigernder Wut und Unverständnis und Hilflosigkeit. Es war sehr schwierig, für alle Beteiligten.
Nicht-Wissen
In der Reflexion wurde mir dann klar, was der eigentliche Grund für meinen Ärger war: Ich wusste nicht, was der Auslöser für mein Kind gewesen war oder was dahintersteckte. Daher wusste ich auch nicht, was ich tun kann, um es zu stoppen. Der Sturm kam wie aus dem Nichts, ohne dunkle Wolken oder Donnergrollen, und überrollte uns alle. Und anders als zuvor konnte ich nichts tun, konnte ich es nicht verstehen. Es wird sicher nicht das einzige Mal bleiben… Das Schwierigste in dieser Situation war für mich das Nicht-Wissen. Nicht zu wissen, woher es kam. Nicht zu wissen, wie ich an mein Kind herankomme. Nicht zu wissen, wie ich helfen kann.
Der innere Drang, ein Problem zu durchschauen oder eine Lösung zu präsentieren, ist oftmals so stark, dass wir in einen Tunnelblick geraten. Dabei geht es eigentlich darum, dass es so schwierig und unangenehm ist, mit dem Nicht-Wissen zu sein. Gefühle der Ohnmacht oder des Versagens überfluten uns, und aus der Unfähigkeit, damit zu sein, erzeugen wir Ärger und richten unser Unbehagen nach außen.
Vertrauen in unsere Fähigkeiten
Achtsamkeit lehrt uns, dass es in uns etwas gibt, das mit allem sein kann, was das Leben uns bietet – ob Traurigkeit, Freude, Schmerz, Ärger oder eben auch Ohnmacht. Genauso, wie wir Körperempfindungen, Gedanken oder Emotionen beobachten können, können wir auch lernen, mit Unangenehmen zu sein. Es ist nicht schön, sich hilflos zu fühlen. Es ist nicht angenehm, ratlos zu sein oder sich als Versager zu fühlen. Doch wir können üben, auch das als ein Teil des Lebens zu erkennen, der vorübergeht, wie alles im Leben sich ständig ändert. Mit dem Nicht-Wissen zu sein, ist eine große Herausforderung, aber es ist möglich.
Wir können erkennen, dass wir nicht immer Lösungen suchen oder eine Schwierigkeit erklären müssen. Wir können den Liebeskummer der Kinder nicht kleinreden. Wir können die Tränen einer trauernden Person nicht abstellen. Wir können die Stürme des Lebens nicht verhindern. Wir können nicht immer den Überblick haben. Manchmal können wir nichts anderes tun, als einfach da zu sein – für die anderen und für uns selbst. Eigentlich ist es meistens genug, einfach nur da zu sein.