„Wenn ich möchte, dass die Liebe in einer Unterhaltung präsent ist, vielleicht ist es dann an mir, sie hineinzubringen?“ so Sharon Salzberg kürzlich in einem Podcast-Gespräch. Das ganze Gespräch aber besonders dieser Satz haben mich sehr berührt. Sharon Salzberg, eine inspirierende Persönlichkeit bezüglich Liebe, Freundlichkeit und das Kultivieren der Herzensqualitäten, spricht darin von der Liebe als eine Fähigkeit, und damit auch als Verantwortung.
Wie oft warten wir, dass es der oder die andere endlich versteht? Ist es denn so schwer, etwas freundlicher zu sein?! Wir haben uns doch bemüht, jetzt ist der oder die andere dran. Oder wir fühlen uns im Recht und warten auf die Entschuldigung, die Erklärung, die Wiedergutmachung. Die Seiten sind doch klar verteilt, oder?! Oft scheint das auch so zu sein, und es ist vollkommen menschlich, das Herz immer wieder zu verschließen, wenn wir enttäuscht werden. Oft ist es sogar unbedingt notwendig, um sich selbst zu schützen. Ein geschlossenes Herz ist kein Fehler, sondern eine wichtige Überlebensstrategie unseres Gehirns. Sollten wir aber in diesem Zustand festhängen, dann kann das zu Verbitterung und großer Einsamkeit führen.
Auf – zu – auf – zu – auf …
In meinem Kursen benutze ich oft meine Hand, um den Rhythmus des Lebens zu symbolisieren. Es ist ein ständiges Wechselspiel zwischen Anspannung (Faust) und Entspannung (Finger der Hand offen und ausgestreckt, Handfläche nach oben), Anspannung und Entspannung. Wie das Herz schlägt, so sollten wir auch leben: immer wieder in die Entspannung kommen, uns Ruhepausen gönnen, aus dem Erledigungsmodus aussteigen. Genauso könnte man das auch sehen bezüglich der Öffnung des Herzens. Es ist völlig normal, dass es immer wieder zugeht und alles, was drinnen ist, schützt. Und dann aber brauchen wir wieder die Öffnung, das Einlassen, um in Beziehung zu treten, um als die sozialen Wesen zu leben und zu lieben, die wir sind. Wir alle wissen aus schmerzlicher Erfahrung, dass etwas Essentielles fehlt, wenn da niemand ist, dem wir uns mitteilen können. Wenn zwei offene Herzen sich berühren, dann ist das nahrhaft, verbindend, ehrlich, menschlich. Wenn das nicht der Fall ist, dann sprechen verschiedene Teile miteinander, weil jeder etwas erreichen möchte für sich, und eben nicht offen ist für den anderen.
Ich will nicht länger warten
Der Satz von Sharon Salzberg traf auf mein Herz, weil es mir deutlich machte, dass ich selbst immer wieder warte auf den anderen. Ich warte, um mich sicher zu fühlen: ja, hier kann ich mich öffnen, denn hier ist Respekt vorhanden. Oder eben nicht. Jedoch gibt es keinen Grund, mich davon abhängig zu machen, was beim anderen ist. Was passiert, wenn jeder auf den ersten Schritt wartet, und keiner traut sich? Keiner ist wirklich menschlich und authentisch da. Es gibt Beziehungen in meinem Leben, da habe ich lange gewartet auf das, was – wie ich meinte – mir zusteht. Irgendwann wurde mir klar: Wenn ich möchte, dass diese Beziehung freundlicher und menschlicher wird, dann muss ich den ersten Schritt machen. Dann muss ich mich bemühen und erkennen, was mich zurückhält. Dann muss ich die innere Arbeit machen und mich jedes Mal neu entscheiden: Ich bin hier. Ich interessiere mich. Und ganz wichtig: ich entscheide dann aber auch ganz bewusst, wie sehr ich mich einlasse.
Wie bin ich da?
Es besteht ein großer Unterschied zwischen (1) ich bin da, weil ich muss, und jetzt lass uns diese Begegnung ohne große Komplikationen über die Bühne bringen, und (2) ich bin da, ich bemühe mich um Freundlichkeit, um Präsenz, um menschliche Begegnung, aber ich bin mir sehr bewusst, wie sehr ich mich gerade öffne und ziehe meine Grenzen. Im beiden Fällen ist es eigentlich egal, was bei der anderen Person ist, wie sehr deren Herz offen oder geschlossen ist oder wie sehr sich dort bemüht wird um eine anständige Begegnung. Grundsätzlich ist es meine Entscheidung, wie ich da bin. Es wird mir schwer fallen, mich nicht reizen zu lassen, wenn ich merke, dass meine Freundlichkeit auf keinen fruchtbaren Boden fällt und zumindest ansatzweise erwidert wird. Ich sage nicht, dass es leicht ist! Aber: Ich kann feststellen, dass ich etwas erwartet habe; dass ich gehofft oder damit gerechnet habe, mit dem gleichen Respekt oder der gleichen Freundlichkeit empfangen zu werden, die ich in die Begegnung gebracht habe. Ich kann bemerken, wie mein Herz sich schließt und mich trotzdem entscheiden, freundlich zu bleiben, mit klaren inneren Grenzen.
„Wenn ich möchte, dass die Liebe in einer Unterhaltung präsent ist, vielleicht ist es dann an mir, sie hineinzubringen?“ Das Wort Liebe kann übrigens auch ausgetauscht werden mit Respekt, Interesse, etc. Wenn ich respektvoll behandelt werden möchte, kann ich ja meinen Teil dazu beitragen – nicht mit einem gedachten „und jetzt du!“, sondern einfach nur, weil es unseren Werten und Bedürfnissen entspricht. Es ist auch an mir festzustellen, wenn ich mich mitreißen lasse von meinen (zuweilen enttäuschten) Erwartungen und meinen inneren roten Faden verliere. Liebe ist eine Fähigkeit, so Sharon Salzberg, die wir selbst stärken können. Und dann gehört sie uns, und keiner kann sie uns nehmen. Lass nicht zu, dass andere dir die Fähigkeit zur Liebe nehmen. Es ist nicht deren Entscheidung, sondern ganz allein deine. Entscheide selbst, wo, wie und bei wem du sie einbringst. Willst du mehr Liebe in deinem Leben haben? Nur zu, auf wen oder was wartest du?