"Ich muss erst noch …"

January 2022
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Kürzlich an einem Montag. Gerade habe ich Lebensmittel eingekauft. Den Morgen habe ich – zumindest so fühlt es sich an – vertan mit Verwaltung, Updates, Planung. Eigentlich sollte ich einen Kurs vorbereiten, der in ein paar Tagen beginnt. Immer war so viel anderes zu tun, und heute muss ich endlich die Zeit dafür nutzen. Nun ist aber Mittagessenszeit und in zwei Stunden erwarte ich einen Anruf, danach kommen bald die Kinder nach Hause. Ab dann besteht das Tagesprogramm aus Hausaufgaben, Abendessen vorbereiten und Streitereien vorausahnen und gegebenenfalls schlichten.

Meditation inmitten des Alltagsstress

Nun sitze ich auf dem Sofa und kann von dort aus in die Küche sehen. Dort stehen die vollen Einkaufstüten, nur die Lebensmittel, die in den Kühlschrank müssen, sind versorgt. Auf dem Weg nach oben habe ich die Wäsche aus dem Trockner mitgenommen und der volle Wäschekorb steht ungeordnet am Rand und wartet auf den Weitertransport nach oben. Das Poloshirt sollte ich wohl aufhängen, sonst bleibt es knittrig. Die Kaffeetasse von heute morgen mit dem braunen Satz steht auf der Spüle. Der Kürbis wartet darauf, zubereitet zu werden. Ich sitze auf dem Sofa und denke: „Ich muss erst noch …“ Auf mich warten Kursvorbereitung, Wäsche, der Herd, Einkäufe. Das Handy liegt neben mir und ich öffne eine App, klicke auf die Tagesmeditation und schließe die Augen. Ja, ich muss eigentlich noch fünf Dinge erledigen, ehe ich mir eine Pause erlauben kann. Genau dieser Moment ist heute mein Signal: Stopp. Genau jetzt. „Aber ich muss erst noch…“ Ja, das stimmt. Aber ich brauche gerade etwas ganz anderes.

Während der Meditation schweifen die Gedanken ab, rasen in die Zukunft, erzeugen Druck. Einatmen. Ausatmen. „Aber nachher muss ich zuerst…!“ Sitzen. Atmen. Interessanterweise handelt die heutige Meditation von Denkmustern. „Vielleicht koche ich dann lieber nicht? Einen Kürbis zu schneiden kostet immer so viel Zeit.“ Atmen. Spüren, wie die Finger kribbeln durch den Temperatur-Unterschied von draußen nach drinnen. Ein interessantes Pochen. Warm. Voll. „Aber ich habe doch extra eingekauft. Und das ist eines meiner Lieblingsgerichte, das ja auch noch für morgen reichen soll.“ Denken. Sitzen. Atmen. Atmen. Atmen. „Doch, ich koche gleich noch. Sonst ärgere ich mich später.“ Atmen. Sitzen. Atmen. „Ach, tut das jetzt gut!“ Bewerten. Atmen. Spüren, wie der Körper sich beruhigt. Atmen. Vertrauen. Hier sein. Jetzt. „Wer sagt eigentlich: ich muss? Natürlich muss ich das alles tun. Aber wer drängt mich denn so?“ Wach sein. Atmen. Atmen. Sitzen. Hier sein. Jetzt. Mit allem, was da ist: ein weniger pochender Körper, leichter Druck, mehr Zuversicht. „Eins nach dem anderen. Jetzt räume ich die Einkäufe ein. Dann koche ich mein Mittagessen.“

Sperrige Worte, wo es doch eigentlich ums Fühlen geht

Selbstfürsorge. Ein sperriges Wort für ein essentielles Spüren: Was brauche ich jetzt wirklich? Die Gedanken werden sich weiterhin zu Wort melden, das „müssen“ und „sollte“ und „kann gerade nicht“ und das explosive „keine Zeit“. Je lauter sie jedoch innerlich hallen, desto argwöhnischer sollte man werden. Sicher, wir alle müssen und sollten ohne Pause. So ist unser Leben, durchgetaktet und fremdbestimmt. Genau diese kleinen Worte aber können ein zuverlässiger Alarmknopf werden: Stopp. Dieser Druck ist gerade da. Und was brauche ich jetzt? „Ich hatte heute keine Zeit für ein ordentliches Mittagessen!“ darf zum Warnsignal werden. „Ich habe nur zwei Minuten für den Toilettengang, sonst aber keine Pause!“ muss eine innerliche Sirene auslösen. Der Preis für ein Leben nach unseren drängenden Gedanken ist langfristig zu hoch. Eine/r muss anfangen, Einhalt gebieten und sagen: Stopp, da ist irgend etwas nicht richtig. Das ist unbequem, aber lebensnotwendig. Fangen wir an, unseren inneren Antreibern zu widersprechen, dann können wir das später auch selbstbewusst bei externen Dränglern tun.

„Aber ich muss erst noch…“

„Ich muss erst noch…“ ist eine Gedankenteil, der natürlich irgendwo seinen Ursprung hat (mal so ins Blaue geraten: innerer Antreiber? Perfektionismus? Leistungsgesellschaft? Nicht als faul gelten wollen? Andere nicht enttäuschen wollen? Hamsterrad der Gewohnheit?). Oft gehört und befolgt, scheint er absolut zu sein. Dabei ist er nichts anderes als ein Denkmuster, das es dringend zu hinterfragen gilt. Wenn wir genau hinhören, dann schreit unser Körper jedes Mal stumm, wenn wir diesen Gedanken denken. Der Körper versucht mit allen Mitteln zu uns durchzudringen und zieht doch so oft den Kürzeren.

Sei neugierig, wenn du das nächste Mal denkst: „Ich muss erst noch…“ – Besuche deinen Bauch, deine Schultern, deine Arme und Hände, deinen Gesichtsausdruck, deinen Atem. Was erzählen sie dir?

„Wenn du Zeit hast zu meditieren, meditiere eine Viertelstunde. Wenn du keine Zeit hast, meditiere eine Stunde.“ - Dalai Lama

Und wenn die Zeit wirklich knapp ist: Du atmest ohnehin. Wie wäre es, nur ein paar Atemzüge zu nehmen, ohne gleichzeitig etwas anderes erledigen zu wollen?

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