Loslassen

March 2024
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Unsere Gedanken schweifen immer wieder ab in die Zukunft oder in die Vergangenheit. Wir verbringen viel Zeit mit Planen und Analysieren, mit Verstehen-Wollen und Vorbereitet-Sein. Gerade jetzt schaue ich aus dem Fenster, sehe den blauen Morgenhimmel und die Sonne und kann nicht anders, als mir zu wünschen, dass es bitte endlich Frühling werden möge. Ich brauche dringend Farben, Wärme und Sonne auf dem Gesicht.

Fokus: hier – und was „hier“ gerade fehlt

Gedanklich bin ich hier und gleichzeitig in meinen Wünschen, in der Zukunft, im Bewerten. Das ist normal und allzu menschlich. Was ist denn auch das Problem dabei? Es wird aber dann schwierig, wenn ich meinen Fokus zu sehr auf das richte, was (noch) nicht da ist. Wenn ich nur die Blumen sehe, die gegenwärtig noch nicht geknospt haben, die immer noch kahlen Bäume, die immer noch matschige Erde im Garten, das Frösteln am Morgen, weil es einfach noch nicht wärmer ist. Weil ich genug von meiner Winterjacke habe und auch keine Lust mehr auf dicke Schuhe. Ja, ich friere leicht.

Fokus: hier – und „hier“ will ich nicht

Ein weiteres Problem entsteht, wenn ich den Fokus zu sehr auf das richte, was tatsächlich da ist, ich aber nicht haben möchte. Wir sprechen hier von den „2 Pfeilen der Erfahrung“. Der erste Pfeil ist die unangenehme Erfahrung, zum Beispiel ein Kratzer im Auto, das Unkraut im Garten, eine unreflektierte Bemerkung anderer Menschen, eine kaputte Spülmaschine, ein schwächelnder oder schmerzender Körper, eine verpasste Verabredung wegen zu viel Arbeit – das Leben, das immer wieder auch einfach schwierig ist, zumindest aber entgegen unserer sorgfältigen Pläne verläuft. Diesen ersten Pfeil können wir nicht ändern oder abwenden, immer wieder passiert etwas, was uns innerlich herausfordert, einfach nervt oder gar ganz aus der Bahn wirft. Den zweiten Pfeil aber, den schießen wir selbst ab, indem wir innerlich kämpfen mit dem, was gerade unsere Erfahrung ist. „Ich will das nicht.“, „Das muss doch jetzt nicht sein!“, „Aaarrgh!“, „Echt jetzt?!“ und was sonst noch alles hervorgerufen wird, begleitet von körperlicher An- und Verspannung und einem emotionalen Gewitter oder Loch.

Loslassen

Eine sehr wertvolle Qualität der achtsamen Haltung ist das „Loslassen“. Loslassen von Gedanken und von Wünschen, von Abneigungen und von Erwartungen. Das ist ganz schön schwierig, aber ungemein wertvoll. Es ist nichts, was wir erlernen können und dann für immer haben. Es ist vielmehr eine Fähigkeit, die wir immer wieder anwenden können und müssen. Was auch immer das Leben uns bietet, es bringt mit sich die Möglichkeit, seine inneren Reaktionen wahrzunehmen und zu schauen: Was kann ich loslassen? Was ist gerade einfach nicht hilfreich? Gestern lief ich entlang eines Weges und entdeckte erste Knospen an einem Strauch und noch geschlossene Blumen in ihrer grünen Umhüllung, bereit für das Aufblühen in Farbe, der Sonne entgegen. Das war eine schöne Gelegenheit, meine Gedanken wahrzunehmen: Freude über die Knospen, Erwartung des Aufblühens, Vorfreude auf den Frühling in der Natur, der Wunsch, dass die Sonne jetzt jeden Tag scheinen möge. Ganz viel „hier und jetzt“ und noch mehr Zukunft, Erwartungen und Wünsche.

Realität --> Reaktion --> Loslassen üben

Zurück im Büro wartete immer noch meine To-Do-Liste auf mich, die ich aufgrund von zwei morgendlichen Versammlungen und der daraus resultierenden Aufgaben noch gar nicht angegangen war. Eine Gelegenheit, mich im Loslassen meiner Pläne zu üben: es war einfach unmöglich, die geplanten Aufgaben noch in der restlichen Zeit zu erledigen. Wahrnehmen des leichten Unmuts, gleichzeitig das Wissen: das andere war jetzt gerade wichtiger. Und wann mache ich jetzt die für heute geplante Arbeit? Was muss dafür verschoben werden? Hilfreich auch das Loslassen der Anspannung, die sich während dieser inneren Vorgänge in meinen Körper geschlichen hatte. Einatmen, ausatmen, loslassen, was gerade losgelassen werden kann. Ein hilfreiches Mantra kann hier sein: „So ist es jetzt.“ Das kann dabei unterstützen, das wahrzunehmen, was gerade da ist – das angenehme und das unangenehme, einfach der erste Pfeil oder anders gesagt: die Realität. Danach kommt meine Reaktion auf die Realität, meine Bewertung und Einordnung, und dann erst kann ich mich im Loslassen üben. Loslassen von Erwartungen und von zeitlichen Plänen.

Keiner hat Schuld

Selbstverständlich kommt es immer wieder vor, dass das Leben uns derart einen Strich durch unsere Pläne macht, dass enorm Druck entsteht, weil unsere Pläne wirklich jetzt noch erledigt werden müssen. Dann geraten wir in Zeitdruck und in Stress und sind verständlicherweise genervt oder überfordert oder beides gleichzeitig. Dann müssen wir da durch und unser Bestes geben und können gleichzeitig üben, die Vorstellung loszulassen, dass das Leben doch viel einfacher wäre, wenn wir uns nur besser organisieren würden oder resilienter wären oder wenn die anderen einfach mal ... Manchmal ist das Leben einfach schwer und herausfordernd, und wir haben keine Schuld daran. Und die anderen haben auch keine Schuld. Manchmal ist es einfach so, so sehr wir uns auch bemühen. Die selbstkritischen Gedanken loszulassen ist das Hilfreichste, was wir in solchen Momenten tun können. Wir können später gerne einmal in die Analyse gehen und schauen, was das Problem war und warum es so gekommen ist – und dann daraus lernen für ein nächstes Mal. Kritik und harsche Worte (gegen uns selbst oder gegen andere) bringen uns aber nicht weiter.

Ich schaue wieder aus dem Fenster, die Sonne ist immer noch da. Meine Gedanken sagen: „Was freue ich mich, wenn es wieder grüner wird. Und vielleicht sind im Garten endlich ein paar Blüten rausgekommen!“ Ich kann die Gedanken an die Zukunft loslassen und mir gleichzeitig erlauben, mich nach etwas zu sehnen, was noch nicht da ist. Es geht darum zu bemerken, was gerade DA ist – nicht so sehr, WAS gerade da ist. Bemerken, schauen ob es hilfreich ist, was ich gerade denke, und dann weitermachen. Und noch ein Tipp zum Abschluss: wir üben dort, wo es einfach für uns ist. Die Natur eignet sich hervorragend dafür, denn hier werden wir immer wieder lernen können, dass wir nichts beschleunigen können, nur weil wir es gerne anders hätten. „Realität – Reaktion – Loslassen, was nicht hilfreich ist“ – der Weg ist immer der Gleiche, egal ob es sich um kalte Tage, unrealistische Urlaubsplanung oder ein Auto im Stau handelt.

Schau, wann immer es dir möglich ist, nach innen, um festzustellen, ob du unbewusst einen Konflikt zwischen Innen- und Außenwelt erzeugst, zwischen deinen äußeren Umständen in dem betreffenden Augenblick – dem Ort, an dem du gerade bist, jemandem, mit dem du gerade zusammen bist, oder dem, was du gerade tust – und deinen Gedanken und Gefühlen. Kannst du spüren, wie schmerzhaft es ist, innerlich Widerstand zu leisten gegen das, was ist? Wenn du das erkennst, wirst du auch merken, dass es dir freisteht, diesen unnützen Konflikt, diesen inneren Kriegszustand aufzugeben.
Eckhart Tolle, in: „Stille spricht“

 

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