„Just like me“ / „Genau wie ich“ – so lautet der Kernsatz in einer Übung, die deutlich machen soll, dass wir alle miteinander verbunden sind in unserem Streben nach Glück, Freude und Liebe. Was diese letzten Worte bedeuten, ist für jeden und jede unterschiedlich. Gemeinsam ist den Menschen jedoch, dass es dem Geist, dem Herzen und dem Körper spürbar besser geht, wenn wir in einem Zustand von Miteinander leben anstatt von Gegeneinander.
Ich lebe in einer Kleinstadt, und natürlich gibt es auch hier viele Menschen, doch bei einem Besuch kürzlich in einer größeren Stadt im Ausland blickte ich aus dem Fenster und sah Menschen über Menschen, die von S-Bahn-Station zur Ampel, vom Supermarkteingang über die Straße, von der Treppe auf den Gehweg gingen, rannten, hetzten, schlenderten, ins Handy versunken oder einander ansehend, zu zweit, zu dritt, alleine, mit oder ohne Schirm, mit oder ohne Mütze usw. Jede Person absolut einzigartig, eine Masse an Menschen in Bewegung. Mit der Zeit stachen einzelne Leute aus der Masse hervor, die mein Interesse weckten, sei es aufgrund der Farbe der Kleidung, der Art der Bewegung oder anderer Merkmale. Plötzlich waren da einzelne Gesichter, und immer mehr Details wurden sichtbar. Was hatte sich verändert? Meine innere Haltung. Ich interessierte mich.
Interesse verändert den Blick
Ich sah Menschen in der Straßenbahn vorbeifahren und fragte mich, wo sie wohl hinfahren. Ich sah ein Kind auf dem Arm des Vaters, der in der anderen Hand ein kleines Dreirad hielt. Von woher kommen sie gerade? Ich sah eine obdachlose Frau vor dem Eingang des Supermarktes, ihre wenigen Habseligkeiten neben sich ausgebreitet. Dann eine Frau mit einer Einkaufstüte. Ich sah einen jungen Mann mit Kopfhörern und einem großen roten Rucksack. Ein Polizeiauto mit Blaulicht und Sirene fuhr vorbei. Was ist passiert? Ein Autounfall, ein Diebstahl, eine Handgreiflichkeit? Die Vielfalt war beinahe schon überwältigend.
Ich ertappte mich immer wieder bei dem Gedanken, dass ein jeder und eine jede dieser Menschen am Abend irgendwo schläft, wahrscheinlich mit irgend jemandem spricht. Und ich war mir bewusst, dass eine jede Person im Grunde des Herzens danach strebt, glücklich zu sein. Und jede oder jeder war es zu einem Zeitpunkt im Leben nicht oder ist es immer noch nicht. Jeder hat eine Last zu tragen, jeder hat Verlust erlebt oder Traurigkeit, hat physischen und/oder emotionalen Schmerz erlebt, eine Verletzung der Haut oder der Seele, das Gefühl von Hunger und Durst, von Kälte und Hitze, von Müdigkeit und Aufwachen aus dem Schlaf. Ich kannte keinen einzigen dieser Menschen da draußen, und doch weiß ich: genau wie ich versuchen sie, ein gutes Leben zu leben.
Abgrenzung oder Gemeinsamkeiten
Wie die Strategien für ein gutes Leben aussehen und was individuell „gut“ eigentlich bedeutet, das ist für jeden anders. Wir sind Menschen, die mit einem wertenden Geist ausgestattet sind, und es lässt sich gar nicht verhindern, dass immer wieder Vergleiche gezogen werden, Abgrenzungen, Urteile gefällt werden. So zu leben ist anständig, jene Handlung ist egoistisch, diese Art ist unakzeptabel, usw. So sind wir Menschen. So müssen wir aber nicht bleiben, denn wir können uns immer wieder bewusst machen: ich habe ein bewertendes Gehirn, das (vorschnell) über andere urteilt. Diese Einsicht hilft, um sich aus dem Automatismus zu lösen und die Neugierde an das Steuer zu lassen. Was sehe ich? Was denke ich darüber? Und ist das überhaupt wahr? Was kann ich noch wahrnehmen? Das Lösen von der Be- und allzu oft Abwertung ist der erste Schritt. Der zweite ist, sich daran zu erinnern: genau wie ich ist dieser Mensch einmal geboren worden, hat(te) Wünsche und Träume, Hoffnungen und Sehnsüchte, hat einen Körper, der auf Luft, Licht und Berührung reagiert, hat ein Herz, das sich öffnen und verschließen kann, und sehnt sich im Grunde nach Zugehörigkeit. Wir sind nun einmal soziale Wesen, und diesem Grundbedürfnis kann sich keiner entziehen, so sehr manche es auch leugnen mögen. Wenn die Statussymbole und äußeren Merkmale wie Beruf, Körperaussehen, Kleidung, Herkunft, Sprache etc. wegfallen, dann bleibt nur eines übrig: ein Mensch. Genau wie ich. Geh nach draußen und sieh die anderen als das, was sie sind: Menschen wie du.
Erinnere dich daran, dass jede Person, der du begegnest, vor etwas Angst hat, etwas liebt und etwas verloren hat.
H. Jackson Brown, Jr.