Tag 10+x der Sommerferien und Tag eins der Betreuung: die Kinder sind in den nächsten Tagen bis nachmittags beschäftigt und werden bekocht. Ich begrüße die Ruhe im Haus, und ja, ich freue mich, nach vielen Tagen wieder meinem gewohnten Rhythmus folgen zu können. Ich koche, was mir schmeckt, ich esse, wann es mir guttut, und ich mache Arbeitspausen, wenn mein Energielevel danach verlangt – und nicht, weil die Kinder sich gerade langweilen.
Pausen sind wichtig – und nicht immer einfach
Sommerferien sind wichtig und gut, und gerade diese Ferien sind so notwendig wie selten. Jeder ist müde nach diesem herausfordernden Jahr. Und: Ferien sind schwierig. Denn Ferienzeiten werfen aus dem Rhythmus. Ob es sich um unregelmäßige Schlafenszeiten handelt oder um Langeweile, um unterschiedliche Freizeit-Bedürfnisse oder um ein gestörtes Hungergefühl: alles ist durcheinander, irgendwie wie Wochenende und doch ganz anders. Das Gefühl für die Wochentage verschwindet, es wird zu oft und zu viel gegessen, mal kümmert man sich um den Haushalt und geht einkaufen, dann gibt es ein gemeinsames Spiel, etwas Fernsehen schauen, einen Ausflug machen, spontan auf die Kirmes gehen und das geplante Abendessen durch Pommes Frites ersetzen. Das Gleiche gilt für die Zeit im Hotel, in der Ferienwohnung oder auf dem Camping-Platz: das gewohnte Leben ist aus dem Rhythmus.
Pausen sind wichtig, essentiell und unbedingt einzulegen. Jedoch verführen diese Wochen an schulfreier Zeit schnell dazu, komplett die Zügel schleifen zu lassen. Der innere Rebell übernimmt das Ruder, die faule Socke, die gar nichts mehr machen möchte. Das ist völlig verständlich und auch gar nicht verkehrt – wenn es nicht zum neuen Alltag wird. Auch kinderlos und dadurch „schulferien-frei“ ist es hilfreich, die eingespielten Rituale und Gewohnheiten nicht völlig über den Haufen zu werfen, nur weil die Straßen jetzt ruhiger sind und die Eiscafés ständig locken. Besonders sensible Menschen benötigen weiterhin einen Rahmen, eine Art zeitlicher und inhaltlicher Struktur. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und Routinen und Gewohnheiten geben dem Organismus Halt. Wenn es dann noch bewusste Rituale gibt – Wie beginne und beende ich meinen Tag? Wie und wo nehme ich mir Zeit zum Lesen? Immer wieder raus in die Natur – dann wird das Ganze noch weiter gestützt.
Inneres Ringen um die Kontrolle
Wie bei allem ist das Maß wichtig. Loslassen und offen sein für den Moment, das spielt ebenso eine Rolle wie an dem festzuhalten, was gut tut und was sich – besonders in Zeiten, in denen der Druck groß war – bewährt hat. Es kann sich dann anfühlen wie ein innerer Kampf zwischen dem Antreiber, und dem Rebell, der wütend auf den Boden stampft und sagt: „Schluss! Jetzt ist Pause! Ich mache gar nichts mehr!“ Beide wollen nur das Beste für uns: der Antreiber hält uns in der Spur und sorgt dafür, dass wir unter Druck arbeiten können und Leistung bringen, dass wir Erwartungen erfüllen und ganz einfach unsere tagtägliche Arbeit machen können. Der Rebell sorgt dafür, dass wir nicht verbissen weiter in der Spur feststecken, wenn das Rennen eigentlich längst gelaufen ist. Er meldet sich oft lautstark zu Wort, wenn die Ferien- oder Urlaubszeit gekommen ist. Wir sollten beiden dankbar sein für ihre harte Arbeit und ihr Bemühen um unser Wohlbefinden!
Beide jedoch schießen gerne übers Ziel hinaus und wissen oft nicht, wenn sie sich wieder beruhigen könnten. In der Ferien-/Urlaubszeit ist es also der Rebell in Zusammenarbeit mit dem Faulpelz, der den Ton angibt und in seinem Übereifer auch schon mal alles über Bord wirft. Es mag sein, dass ich als hochsensibler Mensch schneller als andere aus der Bahn geworfen werde, wenn die Struktur nicht mehr da ist. Für andere darf es sicher auch Wochen dauern, in denen es keine Regeln oder halbwegs festen Rahmen gibt. Mit (kleineren) Kindern ist es für gewöhnlich so, dass sie dankbar sind, wenn sich diese unsichtbaren Rahmenbedingungen nicht komplett auflösen. Meine Tochter ist ähnlich gestrickt wie ich, und sie nörgelte ständig in der vergangenen Woche. Dann hat sie sich eine Art Wochenplan gebastelt und ihn aufgehängt, weil ihr beispielsweise die Unregelmäßigkeit der Frühstückszeit zu schaffen machte. Sie schreibt auch alle paar Tage dort auf, was ansteht und was wir unternehmen. Seitdem wir uns einigermaßen an den Plan halten und sie ungefähr weiß, was kommt, geht es ihr viel besser.
Das Gefühl für Zeit und Körper schwindet
Bei den meisten Menschen ist es so, dass sie früher oder später eine Unzufriedenheit verspüren, ein mangelndes Gefühl für Zeit oder für ihren Körper. Mir passiert es immer wieder, dass ich ständig Snacks esse, weil ich mein Hungergefühl völlig verpasse und zu spät merke, was ich eigentlich brauche. Die Erforschung meiner Bedürfnisse und das bisherige Leben haben mich gelehrt, diese inneren Kämpfe zwischen „zu viel“ und „zu wenig“ Struktur genau zu beobachten und mich gerade jetzt nicht ganz zu lösen. Ich versuche zum Beispiel, meine Morgenrituale beizubehalten. Yoga und Dehnen, in Stille sitzen, lesen – das brauche ich nach wie vor morgens, auch wenn der Wecker nicht klingelt und ich meiner inneren Uhr das Steuer überlasse oder im Hotelbett aufwache. Es gibt weiterhin bewusste Zeiten der Lektüre und auch Spaziergänge und regelmäßige Bewegung sind Teil des „Ferien“-Alltags. Alles das geht auch mit mehreren Menschen im Ferienmodus um einen herum. Es ist weniger Zeitdruck da, und dennoch gibt der ungefähre Rahmen Halt. Und gerade jetzt genieße ich die freie Zeit, in der ich ganz ohne Druck und mit etwas längeren Zügeln arbeiten kann, ganz in meinem Rhythmus. Mein innerer Antreiber und Rebell sind anwesend aber besänftigt, denn allen beiden kann ich nun gerecht werden, ohne einem komplett das Steuer zu überlassen.
Nach innen lauschen … und spüren, was fehlt
Hier sind ein paar Ideen, um durch veränderte Rahmenbedingungen nicht aus der Bahn geworfen zu werden:
- Den Tag nach den eigenen Regeln beginnen. Ob im Hotel oder im eigenen Zuhause, mit oder ohne Wecker, es ist sehr hilfreich, bewusst in den Tag zu starten. Nach dem Aufwachen kurz nach innen lauschen, die Sinne wecken, ein interessiertes „Wie geht es mir?“ und ein paar Momente der Ruhe – ohne direkt Elternteil, Partner*in oder sonst jemand sein zu müssen. Bei sich ankommen.
- Hunger, Essen und das Echo wahrnehmen. Egal wo, was und wann wir essen, es hat eine Auswirkung auf unser Befinden. Je wacher wir dabei sind und auch die Nachwirkungen auf unseren Körper spüren, desto mehr können wir darauf achten, was wir wirklich brauchen.
- Echte Pausen zulassen. Im Urlaub oder in der Ferienzeit ist alles etwas ruhiger und lockerer, und das ist gut so. Wichtig ist dabei, dass wir genau diese Zeiten der Regeneration und Pausen wirklich wahrnehmen, wirklich präsent sind und uns an der wohltuenden Wirkung für Geist und Seele erfreuen. Angenehme Erfahrungen bleiben nur haften, wenn wir sie ganz auf uns wirken lassen.
- Die Grundbedürfnisse nicht aus den Augen verlieren. Wenn es ein Grundbedürfnis nach Allein-Sein und Stille gibt, dann sollte dieses auch im Urlaub mit der Familie gewahrt und eingefordert werden. Wenn es Grundbedürfnisse nach Bewegung oder Natur gibt, dann sind diese ebenfalls wichtig, auch wenn der Rest der Familie lieber gar nichts machen möchte. Familienurlaub bedeutet nicht, dass es immer für alle passen muss. Miteinander leben und sein beinhaltet individuelle und kollektive Schwerpunkte, beinhaltet nicht nur „ich“ oder nur „wir“, sondern die Kombination aus beidem.
Ein Zitat begleitet und unterstützt mich seit vielen Jahren:
„Es gibt keinen Unterschied zwischen Wochentagen und Wochenenden, zwischen regulären Tagen und Feiertagen: nur Sonnenaufgang, Sonnenuntergang, Sonnenaufgang, Sonnenuntergang. Schätze und genieße es.“ - Unbekannt