Es ist November, und der 6. Dezember – in Luxemburg ein wichtigerer Tag als in Deutschland – und natürlich Weihnachten rücken unaufhaltsam näher. Der Zeitpunkt des Schreibens liegt VOR den US-Wahlen, deren Vorboten und endlose Umfragewerte und Berichterstattung innere Anteile in mir auf den Plan rufen, die ständig zwischen Angst, Unsicherheit, Überforderung und starker Bewertung hin und her schwanken. Aber hier und jetzt gibt es noch andere Themen, und in der Familie geht es gerade um „Alle Jahre wieder“.
Die Kinder sind größer geworden, Bedürfnisse verändern sich, aber eines bleibt gleich: jedes Familienmitglied möchte gerne „eine Kleinigkeit“ haben, die er oder sie an Weihnachten als Geschenk überreichen darf oder die speziell von ihm oder ihr kommen. Mittlerweile aber haben die Kinder Wünsche, die über einzelne Bücher oder kleinere Spielsachen hinausgehen. Kürzlich haben wir in sechs Kisten das gesamte Lego verkauft und alte Spiele liegen seit Monaten in einer Kiste in einer Ecke.
Zweierlei Bedürfniswelten treffen aufeinander
Hier treffen zwei Welten aufeinander: meine inneren Teile, die sich um Nachhaltigkeit, Konsumgrenzen und Vernunft bemühen. Und welche den Kindern kürzlich gesagt haben: „Ihr könnt euch auch Geld für das Sparkonto wünschen.“ Das gefällt den Kindern, die sich eine Sitzgelegenheit für das Zimmer wünschen oder ein neues Handy und ansonsten: „ich weiß nichts…“ Auch wenn allen Beteiligten klar ist, dass es kein neues Handy gibt, gilt bei uns aber der Satz: „Jeder Wunsch ist legitim und wird notiert. Das heißt nicht, dass er in Erfüllung geht.“ Das ist mir ganz wichtig: alles darf sein.
Und nun die zweite Welt, die bei dem ganzen aber auch von Belang ist: die inneren Teile, die es anderen gerne recht machen wollen. Verständlicherweise wollen die Familienmitglieder einen Tipp bekommen für eine Kleinigkeit „zum Auspacken“, für ein „Geschenk von mir/uns“. Und dann sind wir wieder bei etwa 5-10 Einzeldingen, die genannt werden müssen und die sich die Kinder eigentlich nicht konkret wünschen oder nicht brauchen. Jedes Jahr aufs Neue kämpfen nun diese beiden Welten gegeneinander und keine ist jemals zufrieden. Und natürlich ist mir klar, wie schön es ist, ein Geschenk zu überreichen und eine entsprechende Reaktion zu bekommen, das geht mir ja nicht anders.
Alles darf sein – was heißt das?
Im Text oben und auch sonst immer wieder erwähne ich den wichtigen Satz: alles darf sein. Alle Gefühle, alle Gedanken, alle Empfindungen, alle Wünsche. Aber was soll das konkret bedeuten? Das ist manchmal ganz schön schwammig und fühlt sich sehr unkonkret an. Wenn keine Seite zufrieden ist, ist das dann überhaupt eine Lösung? Letztens hörte ich in einem Podcast die Idee von einer integrativen Lösung statt eines Kompromisses. Wenn zwei Personen eine Orange wollen, dann könnte man diese einfach teilen: das wäre ein Kompromiss. Wenn aber gefragt würde, weshalb sie die Orange wollen, dann würde vielleicht deutlich: einer möchte nur den Saft, der andere möchte mit der Schale Marmelade kochen. Dann bekommt jeder sein Bedürfnis erfüllt mit nur einer Orange für beide. Es gibt natürlich nicht immer so eine elegante Lösung.
Alles darf sein bedeutet auch, dass es manchmal keine „richtige“ Lösung gibt. Mein Sohn hasst es, Kleidung geschenkt zu bekommen. Manches Mal aber steht ein Kleidungsstück auf der Geschenkliste, weil die Oma „etwas zum Auspacken“ möchte und mein Sohn einen neuen Schlafanzug braucht – auch wenn Kleidung sich für ihn nicht als befriedigendes Geschenk qualifiziert. Ein anderes Mal erhält er vielleicht einen größeren Wert als seine Schwester mit dem Hintergedanken: beim nächsten Geburtstag wird das wieder ausgeglichen. „Alles darf sein“ bedeutet also auch, dass es nicht immer JETZT eine anständige Lösung gibt und sich etwas über die Zeit hinweg ausdehnen darf. Unser Verstand sucht immer nach dem schwarz und weiß, nach dem absoluten und abgeschlossenen – aber das Leben zerfasert sich manchmal, und auch wenn Weihnachten für beide Kinder am gleichen Tag ist, so sind doch beide an einem anderen Wegstück ihres Lebens und ihrer Entwicklung, und das spiegelt sich auch in dem wider, was sie brauchen und erhalten.
„Alles darf sein“ beinhaltet aber auch, dass wir Eltern die Enttäuschung der Kinder akzeptieren müssen, zuweilen antizipieren können, wenn ihre Wünsche nicht erfüllt wurden. Auch Enttäuschung darf sein, so ungern es auch erfahren wird. Und es darf auch sein, dass meine inneren Anteile es „alle Jahre wieder“ gerne etwas einfacher hätten. Und dazu gehört auch, dass die Realität so ist, wie sie ist, inklusive dem Mangel an Schnee.
Es geht nicht nur um Geschenke und die Kinder
Für alle, die entweder keine Geschenke machen oder in deren Leben keine Kinder und deren Bedürfnisse da sind: welche Bedürfniswelten treffen hier aufeinander? Welche Verpflichtungen, Weihnachtsfeiern, "Secret Santa"-Aktionen der Arbeit oder wichteln unter Freunden. Weihnachten bzw. das Ende des Jahres ist so prominent, schon jetzt sind die Supermärkte voll von Adventskalendern, Musik, Dekoration und anderen Vorboten der "magischen Zeit". Und was, wenn es für einen selbst überhaupt nicht magisch ist?
Dankbarkeit
Und dann gesellt sich immer wieder eine große Portion Dankbarkeit dazu: dankbar dafür, dass ich mir überhaupt den Kopf zerbrechen kann über Geschenke und die vielen Familienmitglieder. Dankbar für die Momente der Freude und des Zusammenseins - und auch für die Momente der Anspannung, denn sie sind wichtige Lehrmeister auf meinem eigenen Weg. Dankbar für die Erinnerungen an Weihnachten meiner Kindheit und die Magie der Zeit bis dahin. Und Dankbarkeit, dass wir zusammen sein werden, wie auch immer sich das dann abspielen wird. Nichts ist selbstverständlich. DAS ist das wichtigste Geschenk.