Vor einigen Wochen habe ich mich verletzt: ich war abgelenkt und mein Autopilot meinte, die Treppe sei zu Ende, das war sie aber nicht und ich fiel tief und knickte meinen linken Fuß um. Die Folge: Schmerzen, große Angst, dass etwas wirklich kaputt ist, kurze Momente von selbstkritischen Gedanken, weshalb ich nicht besser aufgepasst hatte, der Körper in einer Schockreaktion und ein Abend auf dem Sofa mit einer Eispackung anstatt bei der Chorprobe.
Noch einige Tage danach hatte ich Schmerzen, konnte aber bald wieder auftreten. Ich wunderte mich zwar etwas, dass es lange nachwirkte, aber dann übernahm der Alltag wieder. Alles in Ordnung. „Es ist, wie es ist.“ Umgang mit Schmerzen und mit dem, was ist, das habe ich ja gelernt in den vergangenen Jahren. Nach einigen Wochen merkte ich, dass immer noch etwas nicht ganz wie früher ist: der Schneidersitz beim Yoga klappt einfach nicht, und auch sonst ist etwas spürbar nicht, wie es sein sollte. Der Besuch beim Arzt schließlich machte deutlich: das Band am Knöchel hat ordentlich etwas abbekommen. Ausgang ungewiss. Und da war sie, die Frage: „Und sie waren nicht direkt beim Arzt?! Keine gute Idee..."
„Sein mit dem, was ist“ bedeutet nicht blinde Akzeptanz
Während ich schreibe, habe ich die verordnete Bandage an und stelle mir die Frage: Was wäre wohl anders, wenn ich direkt zum Arzt gegangen wäre? Dieses Ereignis ist bezeichnend für eine schwierige Grauzone der Achtsamkeitspraxis: „Sein mit dem, was ist.“ bzw. „Es ist, wie es ist.“ bedeutet nicht, alles einfach zu akzeptieren. Es bedeutet gleichermaßen, sich Hilfe und Rat zu holen. Jedoch geschieht es leicht – wie nun bei mir – dass man den Moment verpasst, wo es ratsam gewesen wäre, nicht einfach mit dem Schmerz zu sein, sondern sich abzusichern. Es gibt noch andere Gründe, weshalb ich dachte, das wird schon wieder. Doch wenn ich ehrlich bin, dann spielte die Praxis der Akzeptanz und der bewusste Umgang mit Schwierigkeiten mit hinein. Viele werden mit der Achtsamkeitspraxis schmerzunempfindlicher. Resilienter. Eine wunderbare Sache! Wenn es jedoch dazu führt, dass man es verpasst, im richtigen Moment Hilfe zu holen, dann ist das wiederum schädlich.
Und jetzt? Sein mit dem, was ist.
Kurioserweise hilft mir nun genau die Praxis, mit dieser Fehleinschätzung meinerseits umzugehen. Anstatt in Selbstkritik zu verfallen und in ein „hätte, sollte, müsste“, ist es nun, wie es ist. Es gab einen Fehler meinerseits, der ernste Folgen hatte. Mit diesen Folgen muss ich nun leben und schauen, wie es weitergeht, inklusive der besorgten Gedanken über die Zukunft meiner Beweglichkeit. Nun ist es die Aufgabe, mit dem gegenwärtigen Zustand umzugehen und ab jetzt genauer auf meinen Körper zu hören. Nur wenn ich nicht in der Vergangenheit und der Selbstkritik hängenbleibe, kann ich aus diesem Fehler lernen und beim nächsten Unfall oder körperlichen Signal ärztlichen Rat einholen. Es geht hier jedoch nicht um ein saloppes „Pech gehabt“. Es geht um eine ehrliche Analyse der Ereignisse: Das ist passiert, so hat es sich angefühlt, diese Gedanken (=inneren Teile) haben mich in den folgenden Tagen davon abgehalten, doch zur Sicherheit zum Arzt zu gehen, jene Muster kann ich erkennen, die meine To-Do-Liste prioritär sehen und mir sagen, ich hätte „eigentlich keine Zeit“ und das sei „bestimmt unnötig“.
Ich kann auch bemerken, wenn sich immer mal wieder leise Gedanken einschleichen, die mir sagen: „Ich hätte doch einfach zum Arzt gehen sollen, dann hätte ich jetzt die Probleme nicht.“ Jedoch, auch hier kommt die Praxis ins Spiel, kann ich feststellen, wie leise und fast schüchtern sich diese selbstkritischen Gedanken in den Vordergrund drängen und kaum Luft zum Atmen kriegen. Noch vor einigen Jahren wäre das innere Geschnatter viel harscher und lauter gewesen.
„Sein mit dem, was ist“ ist das Einzige, was uns bleibt: die Vergangenheit ist vorbei und unumkehrbar. Die Zukunft ist nie hier. Wir können nur mit der Gegenwart umgehen, und je weniger Widerstand wir hier aufbringen, umso mehr Energie haben wir, um mit dem umzugehen, was jetzt gerade hier ist: emotionaler Schmerz, physischer Schmerz, schwierige Gedanken, Beziehungsschwierigkeiten, etc. Mögen diese Zeilen für Dich und für mich eine Erinnerung sein, dass der Körper unser wichtigster Verbündeter ist und so viel Fürsorge, Umsicht und Sorgfalt verdient hat, wie wir nur aufbringen können. Kein Gedanke sollte uns hier in die Quere kommen und sagen: „bestimmt nicht notwendig“ oder „jetzt gerade habe ich keine Zeit“ oder, was ich immer mal wieder höre, „Ich sollte mal wieder zur Vorsorge, aber ich trau mich einfach nicht. Ich habe Angst vor dem, was da eventuell herauskommt.“ Und wenn wir Signale und Empfindungen falsch deuten, dann lehrt die Achtsamkeit, auch dies mit Nachsicht zu sehen. Wir sind Menschen, wir machen Fehler, und dann lernen wir aus den Fehlern und versuchen es, beim nächsten Mal besser zu machen. Das nennt sich wachsen, lernen, leben. Und sein mit dem, was jetzt gerade ist, so wach und so aufmerksam wie es eben gerade möglich ist.