Dem inneren Kompass folgen

December 2021
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Vor einem Jahr schrieb ich, ich wünsche mir zu Weihnachten eine kleine Prise Menschlichkeit. Ich schrieb, dass die Menschen müde sind. Verständlich, 2020 war ein schwieriges Jahr. Ein Jahr ist seitdem vergangen, voller Sonnen- und Regentage, Französisch-und Corona-Tests, Kurse vorbereiten und geben, online und Präsenz, zunehmend Spannung auf den Straßen und erneut verunsichernde Nachrichten über globale Themen. Ja, auch 2021 war ein schwieriges Jahr, im kleinen und im großen. Und nun steht Weihnachten vor der Tür und es ist nass und kalt. Hier, wo ich wohne, fehlt der Schnee und die weihnachtliche Stimmung. Dafür gibt es Dinge, die sich nicht ändern: Plätzchen backen, Baum schmücken und „3 Haselnüsse für Aschenbrödel“ schauen.

Der innere Kompass

Ein Kompass ist dazu da, um die Richtung anzuzeigen. Dorthin geht es. Diesen Weg muss ich einschlagen, um mein Ziel zu erreichen. Auf dem Weg ist der Kompass ein stetiger Begleiter, und ändert sich das Ziel, dann ist der Kompass immer noch da und wird einfach neu eingesetzt. Die Funktionsweise des Kompass‘ ist jedoch immer gleich, unerschütterlich, bedingungslos und zeitlos. So wie dieser Kern in uns Menschen, der uns die Richtung zeigen kann inmitten der Stürme des Lebens. Rumi, ein persischer Dichter des 13. Jahrhunderts, sagt es so schön: „Deine Aufgabe ist nicht, nach der Liebe zu suchen, sondern vielmehr alle Barrieren in dir zu suchen und zu finden, welche du gegen sie aufgebaut hast.“ Schon vor vielen Jahrhunderten und darüber hinaus war bekannt, was Studien in den letzten Jahren nachweisen konnten: wir Menschen haben eine angeborene Veranlagung zu Altruismus, Hilfsbereitschaft, Mitgefühl und Verbindung. Wenn wir das Gefühl haben, die Welt sei egoistischer und unmenschlicher geworden, dann stimmt das nur zur Hälfte. Eigentlich geht es darum, dass aus Angst und Verunsicherung die Barrieren zum eigenen Herzen immer dicker und härter werden und es immer weniger nach außen wirken kann.

Liebe ist ein großes Wort, zur Unkenntlichkeit benutzt und vermarktet. Es geht nicht darum, alle Menschen zu lieben und sich aufzuopfern. Es geht vielmehr darum, die inneren Barrieren zu erforschen und abzutragen, Stein für Stein. Das ist ein langer Prozess und mag vielleicht niemals ganz enden. Aber der Weg lohnt sich, denn als Belohnung gibt es schon unterwegs mehr Freude, Ruhe, Mitgefühl und vor allem Miteinander. Dann wird es ganz egal, was „Liebe“ eigentlich für einen bedeutet und wie man sich zu verhalten hat in dieser oder jener Situation. Sie ist einfach da, so wie sie immer da war. So wie die Sonne, die immer scheint, auf alles und jeden, bedingungslos. Wir sehen sie nur manchmal nicht hinter den Wolken, aber sie ist trotzdem da.

Den eigenen Weg gehen

Der Weg der Selbsterforschung, der Selbsterinnerung, der Kontemplation oder eben der Achtsamkeit ist ein ganz wunderbarer Weg, um nach innen zu lauschen und sich auf die Suche zu machen nach der Person, die unter all den Denkmustern, Erwartungen und Stimmungen da ist und immer da war. Hier spielt es keine Rolle, wie alt wir sind. Die Kinder haben ihren ganz eigenen „Bauplan der Seele“ (Maria Montessori) und zeigen ihn immer mal wieder ohne Filter. Wir Erwachsenen sind von so viel Leben und Energie immer wieder überfordert, denn wir haben schon gelernt, in Strukturen zu denken und uns anzupassen. Und wenn wir nicht aufpassen, dann werden diese Strukturen und Denkmuster mit dem Älterwerden immer starrer und enger, Dank an die Neuroplastizität: „Worauf wir uns fokussieren, das wird stärker.“

Es ist nie zu spät, um auf Entdeckungsreise zu gehen. Das mag für manche die Meditation sein oder eine andere Art von spiritueller Praxis. Wieder andere erleben sich ganz lebendig und bei sich im Malen, Tanzen, Lachen oder Kochen. Das mag der Spaziergang im Wald sein oder der Blick nach oben in den Himmel, aus dem Schneeflocken wie aus dem Nichts fallen. Lieder können Resonanz wecken, Bücher, Zitate, Begegnungen. Der Kompass in uns, dieses innere Licht, ist immer da, und kann uns durch die schwierigsten Stürme führen. Die Praxis der Selbsterforschung hat ganz viel mit Vertrauen zu tun. Aber ist es nicht wunderbar, dass wir gar nicht im Außen suchen müssen, sondern darauf vertrauen können, dass es immer wieder Augenblicke gibt, in welchen wir spüren können, was wirklich wichtig ist und uns hält – als Individuum und als Gemeinschaft? Und noch schöner: mit der Praxis werden diese Momente häufiger und nachhaltiger, einfach so. Es ist nicht wichtig, wie dieses Lebendigsein oder das Leben nach dem inneren Kompass aussieht und ob es für andere befremdlich oder „nicht genug“ oder „übertrieben“ ist. Man spürt selbst, ob es von innen kommt und stimmig ist. Und dafür braucht es kein Feuerwerk oder eine Bestätigung. Es ist einfach.

„Es ist, was es ist, sagt die Liebe.“ - Erich Fried

Der bekannte Autor und Künstler Hape Kerkeling sagte kürzlich in der Sendung „Ein Abend mit Hape Kerkeling“ im Gespräch mit Dunja Hayali so wunderbar: „Die Essenz ist am Ende die Liebe.“

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