Bewusst das Falsche tun

April 2024
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Manchmal kann man einfach nicht gewinnen, und wie man es macht, macht man es falsch. Es gibt Momente im Leben, da muss man sich entscheiden zwischen zwei schlechten Optionen. Da fällt auch schon mal die Selbstfürsorge oder anderes über Bord und es geht nur darum: welche Option ist jetzt trotz aller Widrigkeiten die „beste“?

Kürzlich war ich krank und hätte eigentlich den dritten Tag in Folge zu Hause bleiben sollen. Aber es ging mir definitiv besser als zuvor und ich dachte, ich könnte den angesetzten Kurs halten. Ihn abzusagen wäre aus verschiedenen Gründen enorm unangenehm geworden und – um ganz ehrlich zu sein – ich wusste, ich würde gedanklich noch lange daran knabbern, dass ich die Teilnehmer*innen hängengelassen hatte. So jedenfalls fühlte sich das für mich an. In der Pause des 3-stündigen Kurses fing der Schüttelfrost wieder an und andere Symptome, aber dank einer Fiebertablette konnte ich den Kurs gut zu Ende bringen. Nachmittags dann war ich richtig krank. Natürlich war es viel zu früh, zur Arbeit zurückzukehren und ich möchte ja auch keinen anstecken. Trotzdem hatte ich mich ganz bewusst dazu entschieden und gegen meine Selbstfürsorge. Morgens ging es mir ja auch gut.

Oder es fällt die Entscheidung, mal eine Weile auf Koffein zu verzichten und aus verschiedenen Gründen wird es plötzlich notwendig, den Kreislauf etwas auf Touren zu bringen. Oder wir möchten eigentlich nur pflanzliche Medikamente zu uns nehmen und merken dann aber: es reicht einfach nicht, der Körper braucht mehr Unterstützung.

Wie ist es JETZT gerade?

Selbstfürsorge ist gar nicht so einfach, und es ist auch nicht so, dass wir irgendwann einfach den Dreh raushaben und wissen, was richtig ist und was nicht. Hier kommt die Achtsamkeitspraxis ins Spiel: Wie ist es JETZT GERADE? Das ist immer die Frage: Wie ist es jetzt? Natürlich basieren wir unser Wissen auf Erfahrung und auf unsere Werte und Richtlinien. Hier aber gilt es, flexibel zu sein und bereit zu sein, den eigenen Rahmen zu verlassen. Ob es die richtige Entscheidung war oder nicht, das werden wir erst hinterher wissen. Und auch das ist dann Teil der Aufgabe: Wie gehe ich mit dem um, was jetzt da ist? Abgesehen davon, dass das Leben einfach nicht planbar ist und uns immer wieder auch einen Strich durch die Rechnung machen wird, sind wir eben auch nicht immer gleich. Manches Mal braucht der Körper etwas anderes als das, was wir geplant haben.  

Dazu passt auch das Beispiel von einem Wochenendtrip, den ich einmal unternahm. Flug, Hotel, Museen, Geschäfte, Restaurants, alles hatte ich herausgesucht. Die Sonne strahlte, es war mitten im Sommer. Zwei Drittel meiner Zeit verbrachte ich jedoch im Zimmer und rührte mich kaum, las, schaute fern und aß mitgebrachtes Essen. Die bewusste Entscheidung, dass Pause genau das ist, was ich und mein Körper jetzt gerade zu leisten imstande waren. Ja, die Gedanken mischten sich ein und kritisierten, beschimpften, machten mir ein schlechtes Gewissen. Und trotzdem wusste ich: das jetzt ist richtig in diesem Moment. Dadurch wurde es nicht wunderbar und leicht, die Wehmut über das Verpasste war trotzdem da. Aber die innere Gewissheit ebenso: ja, das ist jetzt gerade richtiger.    

„Ich hätte besser …“

Es gibt immer wieder Momente, in denen andere Menschen oder die eigene innere Stimme ein „Du hättest aber besser …“ einwerfen. Dann regt sich Widerstand, wir fühlen uns missverstanden und kritisiert. „Ja, ich weiß! Aber in dem Moment …“ Wir reagieren ungehalten oder genervt, und im schlimmsten Fall verfangen wir uns in der Spirale von Gedanken von Bereuen und Selbstvorwürfen. Manchmal kann man einfach nicht gewinnen, und wie man es macht, ist es falsch – für einen selbst oder in den Augen der anderen.  

Das nennt sich Leben. Ich mag das englische Wort „messy“, das dieses ganze Kuddelmuddel, Chaos, etwas Schmutz, etwas liebevolle Unordnung und einfach die ganze Katastrophe beschreibt, die das Menschsein ausmachen. Und doch passiert es immer wieder, dass unser Kopf gerne eine klare Linie und eine klare Farbe hätte. So sollte es sein, so und nicht anders. Das ist richtig, jenes ist falsch. Hiermit geht es mir gut, damit will ich lieber nicht in Kontakt kommen. Aber so ist es einfach nicht. Life is messy!

 

Life is what happens to you while you are busy making other plans. / Leben ist das, was passiert, während du damit beschäftigt bist, andere Pläne zu schmieden.
John Lennon

 

Es braucht einfach immer wieder die Erinnerung, dass Leben nicht einfach ist, so sehr wir es uns auch wünschen. Auch nach weiteren zwei Wochen bin ich immer noch krank, nur mit anderen Symptomen. Das Leben ist immer noch nicht einfacher geworden und Selbstfürsorge kommt jeden Tag aufs Neue zu kurz. Und dennoch schaue ich jeden Tag aufs Neue: Was ist JETZT GERADE da? Wie geht es mir? Was ist zu tun? Kann ich das heute leisten oder nicht? Und wie geht es mir danach? Einen Schritt nach dem anderen machen und einfach immer neu entscheiden: und jetzt? Mehr kann ich nicht tun. Aber je bewusster ich eine Entscheidung getroffen habe – auch wenn es eine „falsche“ war – desto besser kann ich dazu stehen und sie verteidigen, meinem inneren Kritiker oder den äußeren Kritikern gegenüber.

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