"Nie ist es leer im Wald …"

October 2021
Bild zur Veranschaulichung des Blog-Artikels

… Und kommt es einem so vor, ist man selber schuld.“ Michail Prischwin. Die Farben des Herbstes leuchten einmal mehr um die Wette, ich kann mich kaum sattsehen an dem rot, gelb, braun und grün. Kürzlich hatte ich das Glück, zusammen mit dem Naturpark Our zum „Waldbaden“ in den frühmorgendlichen Wald zu gehen. Die Erfahrung vor Ort, besonders für die Augen und Ohren, war ein einziger Genuss. Der Wald ist so viel mehr als man sieht, und essentiell für das Wohlbefinden der Menschen.

Ein neues Wort für ein wichtiges Thema

Weil die Achtsamkeitspraxis das Leben bunter, reicher und intensiver macht, überwältigt mich jeden Herbst aufs neue die Farbenpracht, und die Natur scheint jedes Jahr ein kleines bisschen schöner zu werden. Dieses Jahr überwältigt mich aber noch ein anderes Thema: die Zukunft dieser wunderschönen Natur. Es gibt sogar einen neu geschaffenen Begriff dafür: Öko-Angst („eco-anxiety”), die konkrete Angst vor den Folgen von Klimawandel und Umweltzerstörung. Das Jahr 2021 war und ist diesbezüglich einschneidend für mich und für viele andere auch. Ich merke beim Schreiben, dass ich nicht weiß, wohin dieser Artikel geht. Das Thema ist so groß und überwältigend, die Nachrichten so widersprüchlich („jeder kann seinen Teil beitragen“ vs. „was jeder einzelne tut hat keine Auswirkungen auf das große Ganze – die Politik und die Wirtschaft muss radikal umdenken, sonst bringt es gar nichts“), dass sich die für mich wichtige Frage stellt: Was kann ich schon ausrichten? Und dann kommt sie, diese dunkle Wolke der Angst. Angst um meine Kinder, um ihre Art von Leben, um ihre physische und soziale Sicherheit angesichts der heraufziehenden Schwierigkeiten und Verteilungskämpfe um Lebensraum.

Richard Stiegler sagt es so treffend in seinem Buch „Warum uns der Klimawandel an innere Grenzen bringt“ (Arbor Verlag, 2019): „Wenn wir im Wald spazieren gehen und den Vögeln lauschen, scheint uns der Klimawandel wie ein böser, irrealer Traum, ein Zukunftsszenario, das irgendwie weit weg ist.“ Und weiter: „Man kann dieses Stadium vergleichen mit einem Menschen, dem vom Arzt eine aggressive Krebserkrankung diagnostiziert wurde, die er aber selbst noch gar nicht verspürt.“ 2021 haben mehr und mehr Menschen Auswirkungen verspürt, nicht zuletzt durch die Flut im Ahrtal, gar nicht so weit von hier. Und dennoch merke ich, wie der Kopf kaum begreifen will oder kann, weil es einfach zu groß ist. Was kann ich schon tun?

Sich abwenden ist keine Lösung

Die Praxis des Innehaltens und der Selbsterinnerung lehrt uns hier vieles: ablenken und wegschalten ist keine Lösung. Das war es noch nie, aber jetzt noch viel weniger. Sich zuwenden ist jedoch nicht hilfreich, wenn es Überwältigung und Überflutung zur Folge hat. Öko-Angst ist nicht von Nutzen, sie paralysiert oder löst den Flucht-Reflex aus, manchmal auch Wut auf … tja, auf „die anderen“. Eben das, was im Alarmsystem passiert: der/die/das andere ist schuld. Sich zuwenden muss in dem Maße geschehen, in dem es tragbar ist – und aber doch schnell genug, um überhaupt noch etwas ausrichten zu können. Und da sind wir wieder bei der Überforderung.

Achtsamkeit ermöglicht uns, mit dem zu sein, was ist. Gegenwärtig merke ich, dass mein Beitrag darin besteht, hinauszugehen, die Schönheit zu bewundern, mich an den Farben zu nähren, mir die Brisanz und Dringlichkeit vor Augen zu führen und in meinem Alltag mein möglichstes zu tun, um nachhaltig zu agieren und sinnvoll zu konsumieren. Könnte ich mehr tun? Sicherlich, und das wird auch passieren. Jetzt gerade ist es wichtig, die Kräfte zu sammeln und die Intention klar zu formulieren. Da zu sein für das, was jetzt gerade ist. Danach kann und muss es weiter gehen, auch aus der Komfortzone heraus. Ein anderer Teil meines Tuns besteht darin, anderen Menschen die Praxis der Achtsamkeit zu vermitteln, damit möglichst viele wach werden für ihr Leben, für die Menschen in ihrem Leben und natürlich für die Natur. Ist es genug? Sicher nicht. Daher wird und muss es ein prioritäres Thema bleiben, darf in mir gären, wird sich Bahn brechen. Jeden Tag aufs Neue.

P.S.: Ja, der Herbst ist wunderschön. Als Kind fand ich auch den Winter wunderschön, Schlitten fahren, Schneeballschlacht, stundenlang ein Iglu bauen, und dann mit roten Backen einen heißen Kakao mit Sahne trinken. Längst aber habe ich aufgehört, meinen Kindern vom „Winter im Schwarzwald“ zu erzählen. Zu groß war jedes Mal die Enttäuschung – sie hatten noch nie Schnee an Weihnachten und werden das wohl auch nie erleben.

Fotos © Berenice Boxler

Weitere Artikel

Alle meine Blog-Artikel finden Sie hier.‍

Bild zur Veranschaulichung des Blog-Artikels
Bild zur Veranschaulichung des Blog-Artikels
Bild zur Veranschaulichung des Blog-Artikels