Es ist das Jahr 2022. Reise etwa 20 Jahre zurück in deine Vergangenheit, an den Anfang des neuen Jahrtausends. Erinnerst du dich vielleicht an diese Stimmung direkt vor Silvester? Als die Ängste hochkochten, es könnten alle Computer auf einmal nicht mehr funktionieren? Oder vielleicht gab es zu der Zeit ein ganz anderes Lebenbeben bei dir, wie Bruce Feiler das so schön ausdrückt: ein „lifequake“. Auf jeden Fall war eines nicht Teil deines Alltags: das Smartphone.
Früher …
Es soll hier nicht um Vor- oder Nachteile gehen, um Bewertung oder um eine Besprechung der vielen wunderbaren Errungenschaften und natürlich der mitunter sehr schädlichen Gewohnheiten bei der Nutzung von Smartphones, Apps und Spielen. Es geht um dich, und um deinen Start in den Tag. Vor zwanzig Jahren, wie fing der Tag an? Der Wecker klingelte, der Körper stand wohl fast automatisch auf – oder drückte automatisch noch einmal auf die Schlummertaste – waschen, Toilettengang, anziehen, Frühstück, Arbeit oder Schule, evtl. Kinder betreuen. Es war ein Aufwachen in das eigene Leben, im eigenen Haus, mit den eigenen Gedanken, mit den engsten Menschen um sich, die Sinne erfüllt von zum Alltag gehörenden Reizen. Ob im Autopilot oder ganz bewusst, es gab nur das. Früh morgens (noch im Bett …?) die Mails checken oder den Wetterbericht bewerten gehörte auf jeden Fall nicht dazu.
Seitdem fast jeder (laut einer Umfrage von Bee Secure besitzen von den 18-30-jährigen 100% ein Smartphone) ein Handy besitzt, erlauben wir wie selbstverständlich, dass die Welt in unseren Morgen eindringt. SMS von unseren Kontakten, Mails, Weltnachrichten, der neueste Instagram- und Twitter-Feed sind immer wieder Teil der Morgenroutine. Von der Abendbeschäftigung möchte ich hier gar nicht reden, das ist ein anderes Thema. Wann hast du dein Handy zuletzt ganz ausgestellt in der Nacht und hast es nicht griffbereit (idealerweise dann im Flugmodus) für den nächsten Morgen in der Nähe? Jede Nacht? Wunderbar, weiter so! Wenn du so bist wie ich, dann möchtest du es aber morgens „für die Morgenmeditation“ bereit haben und nach dem Aufwachen nicht erst die 15 Sekunden warten und den Pin eingeben müssen, bis es einsatzbereit ist. Ab heute aber „schläft“ mein Handy im Nebenzimmer.
„Mit dem linken Fuß zuerst aufstehen“
Aber auch ohne Smartphone ist es oft Routine geworden, dass wir aus dem Bett aufstehen und in die Dusche wanken, ohne wirklich wach zu sein. Es kann schnell zu einer Abfolge von Gewohnheiten und Automatismen werden, die oft auch miteinschließt, dass wir „heute überhaupt keine Lust auf den Tag“ haben. Nicht nur Handlungen, auch Gedanken werden zu einem Selbstläufer und mechanisch, wenn wir nicht bewusst gegensteuern. Du kennst sicher den Spruch: „mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden sein“. Das bedeutet, dass wir vom Moment des Aufstehens irgenwie neben der Spur sind und einfach kein Glück haben. Es geht darum, wie wir morgens in den Tag starten, und das färbt den Rest des Tages ein.
Die erste Morgenstunde ist das Steuerruder des Tages.
Augustinus Aurelius
Es macht einen Unterschied, wie – und wie selbstbestimmt – wir den neuen Tag unseres Lebens beginnen. Dabei geht es nicht darum, meditieren zu müssen oder inspirierende Bücher zu lesen, um sich in eine bestimmte Stimmung zu versetzen. Es geht um nicht mehr und nichts weniger, als einen weiteren Neubeginn unseres wertvollen Lebens bewusst und bestmöglich zu verbringen. Jeder Mensch ist anders und befindet sich auch in einer ganz individuellen Phase seines Lebens und Wohlbefindens. Es gibt daher kein „ideal“ oder „richtig/falsch“. Es gibt ein paar gesundheitliche Tipps (wie z.B. Wasser trinken), abgesehen davon ist es ganz allein abhängig vom eigenen Gefühl und Befinden. Mein Tipp: ausprobieren, nachspüren, ein paar Tage Zeit geben, dann verändern oder ergänzen.
Eine Sache ist jedoch zu beachten: der Körper ist immer die Basis. Auch wenn unsere Gedanken und Pläne („Hallo, innerer Antreiber – schon so fit heute morgen?“) schnell in den Vordergrund drängen, ist es hilfreich, immer wieder zum Körper zurückzukehren und zunächst einmal in diesem Körper und in dieser Umgebung anzukommen. Der innere Antreiber bekommt seinen Termin, wo er alle seine Punkte vortragen kann, keine Sorge.
Ein paar Ideen
Hier sind ein paar Ideen zum Ausprobieren – und immer wieder neu Verändern:
- ein großes Glas Wasser trinken (nicht eiskalt) – über Nacht verliert der Körper viel Flüssigkeit
- noch im Bett ein paar Momente lang bewusst den Atem spüren, die Wärme und Gemütlichkeit der Bettdecke genießen, Geräusche wahrnehmen, die Augen langsam öffnen
- ein paar Seiten in einem Buch lesen: Fiktion, Gedichte oder eine inspirierende Biographie (eher kein Sach- oder Fachbuch)
- Musik hören, die Freude macht, gerne Instrumentalmusik (es muss auch nicht Klassik sein – warum nicht Filmmusik und sich ein paar Minuten in der Vorstellung in den Lieblingsfilm beamen?), Pianoklänge, eine Morgenmesse (z.B. die wunderschöne „Sunrise Mass“ von Ola Gjeilo), Musikstücke der App „Calm“, etc.
- beim Händewaschen in den Spiegel sehen und sich begrüßen, zumindest aber ein leichtes Lächeln erlauben
- sanftes Yoga, dehnen, strecken – auf den Körper hören: was braucht heute meine Aufmerksamkeit? meine Schultern? meine Hüften? die Waden?
- ~mit (App, Audio) oder ohne Anleitung, eine festgelegte Dauer oder nach Gefühl
- ~die Yogamatte abends schon bereitlegen
- Meditation, Kontemplation, atmen
- ~mit (App, Audio) oder ohne Anleitung
- Intention für den Tag setzen, z.B.
- ~allgemeine Ausrichtung entlang des inneren Kompass
- ~bestimmte Akzente setzen: „Heute schaue ich den Menschen bewusst in die Augen.“, „Heute werde ich auf meinen Körper hören und seine Signale wirklich empfangen.“, „Heute möchte ich den ersten Bissen einer jeden Mahlzeit wirklich schmecken.“ etc.
Es geht darum, wie in „alten Zeiten“ zunächst in seiner eigenen Welt anzukommen und vor allem in seinem eigenen Körper. Wir brauchen ihn den ganzen Tag, da sollten wir gemeinsam mit ihm aufwachen. Gedanken werden kommen, der Tagesplan wird uns beschäftigen, und was sonst noch Teil unseres Alltags ist. Es ist jedoch enorm heilsam und beruhigend, wenn wir uns erlauben und bewusst dazu entscheiden, den Tag so zu beginnen, wie es uns gut tut. Wir sind noch nicht am Schreibtisch, wir sind noch nicht in Kontakt mit der Welt, wir sind noch nicht in Beziehung mit anderen, sondern nur mit uns. Jetzt, in dieser wertvollen Morgenstunde, darf es tatsächlich nur um uns gehen. Danach können wir uns gestärkt und verankert der Welt zuwenden und uns für all das öffnen, was unseren Alltag ausmacht.
Morgen“stunde“ ist natürlich nicht wörtlich gemeint. Du entscheidest selbst, wie lange du dir Zeit nehmen willst und kannst und ob du vielleicht ab morgen fünf oder zehn Minuten früher aufstehen magst. Probier es doch mal aus, es kann sich so viel verändern, wenn wir den Tag unter unseren eigenen Bedingungen beginnen.