Nun haben die Sommerferien begonnen. Zunächst gibt es noch eine Ferienbetreuung, dazwischen ein paar Tage Urlaub, danach weitere Planung etc. Gedanklich sind wir schon weit voraus, wie wohl die meisten zu dieser Jahreszeit. Noch schnell dies und das erledigen, bevor der Urlaub beginnt. Noch eben gerade die Liste abarbeiten, damit man mit gutem Gewissen aus dem Büro gehen kann und die Arbeit dem Kollegen überlassen oder sie auch einfach liegenlassen kann.
Das Jetzt, der gegenwärtige Moment ist gerade nur so gut wie die Arbeit, die man in ihm erledigt bekommt für die Zukunft. Denn in der Zukunft, im Urlaub, da soll man sich ja entspannen können und an nichts denken müssen. Das Konzept von „im Moment leben“ ist ja schön und gut, aber nicht gerade jetzt, da passt es nicht so wirklich ins Konzept. Ich rackere mich jetzt ab, um später meine wohlverdiente Ruhe zu haben.
Klingt das bekannt?
Routine = richtig?
Dieses Konzept, von dem uns unser innerer Antreiber gerne überzeugen möchte, hat oft schon so lange Zeit vorgeherrscht, da fällt es schwer, diese Routine zu durchbrechen. Aber Routine bedeutet nicht gleichzeitig „richtig“ oder gut für uns. Nur weil wir es immer so machen, muss es noch lange nicht dienlich sein für unser Wohlbefinden und unsere innere Balance.
Das, was wir immer machen, wird zur Routine, die Routine wird zur Gewohnheit. Wenn wir ständig von A nach B hetzen, um nur noch schnell etwas zu erledigen – irgendwas Dringendes steht ja immer an – dann wird dieses Hetzen zur Gewohnheit. Wir reden uns ein, dass bald eine Pause sein wird, der Urlaub steht ja vor der Tür. Dann endlich können wir entspannen, ausruhen und die Seele baumeln lassen.
Weit gefehlt.
Wenn wir konstant etwas erledigen müssen und uns keine Pausen gönnen, dann wird diese Einstellung zum Standard. Wenn nun der Urlaub da ist – oder das Wochenende, die Ferien, der Feierabend – dann rennen wir weiter im Hamsterrad und wundern uns, weshalb wir uns nicht auf Kommando entspannen können. Dabei vergessen wir ganz einfach, dass wir, ob im Flugzeug nach Florida oder auf Wanderweg in den Dolomiten, uns mitnehmen, unseren erschöpften Körper, unsere rotierenden Gedanken, unsere drückenden Bedürfnisse und Emotionen. Wenn das Erledigen, Organisieren und Tun zum Standard geworden ist, dann ist das auch der Standard im Urlaub – unserem Gehirn ist es nämlich egal, ob wir gerade am Strand liegen oder nicht. Da reicht es, wenn ein Windstoß den Sand aufwirbelt und das mit Sand gesprenkelte Eis unseres Sohnes nun plötzlich zwischen den Zähnen knirscht, und unser reaktives Gehirn schaltet um auf Stress, Klagen und Aufregen. Da ist dann keine Spur von Entspannung oder „Runterkommen“ mehr. Und dann regnet es vielleicht auch noch! Vielleicht kommt es aber auch gar nicht so weit und wir erreichen den Strand gar nicht, weil wir mit Migräne oder eine Erkältung im Hotelbett liegen. Der Körper hat sich vielleicht endlich die dringend benötigte (körperliche) Ruhe geholt, die er so lange nicht bekam, und uns buchstäblich lahmgelegt.
Was auch immer passiert, es ist relativ unwahrscheinlich, dass wir von jetzt auf gleich umschalten können auf den Urlaubsmodus und alle Sorgen fallenlassen. So funktioniert unser Gehirn einfach nicht. Unsere Gedanken fahren nie in den Urlaub, unsere unbewussten Konditionierungen begleiten uns überall hin und ohnehin können wir weder die anderen Personen noch irgendwelche Ereignisse oder das Wetter beeinflussen. Wir setzen uns selbst enorm unter Druck, wenn wir von uns erwarten, uns im Urlaub erholen zu müssen. Die Enttäuschung, die Frustration über unvorhergesehene Probleme oder unser Unvermögen, einfach mal „locker“ zu lassen, werden nicht lange auf sich warten lassen. Dann kommt für gewöhnlich auch rasch die Angst vor der Rückkehr: Was mache ich bloß, ich bin immer noch so erschöpft! Ich muss dringend auftanken, sonst kann ich nicht zurück zur Arbeit!
Das Leben ist wie eine Autofahrt
Man könnte das Leben sehen wie eine Autofahrt in einem Auto mit Gangschaltung. Wenn wir ständig im 5. Gang fahren, dann gewöhnen wir uns an diesen Fahrstil. Der Fuß auf dem Gaspedal kennt bald den genauen Winkel, den er haben muss, um die Geschwindigkeit konstant zu halten, vielleicht ist auch der Tempomat eingelegt, eine Hand ruht lässig und unnütz auf dem Schaltknüppel. Wir sind schnell, wir werden sicherer – es wird zur Gewohnheit –; es trägt uns aber auch mal rasch aus der Kurve bei dieser Geschwindigkeit.
Nun ist Urlaub, und wir möchten uns entspannen, ausruhen, einfach mal rechts ranfahren, parken und den Sonnenuntergang genießen. Aber wie soll das gehen aus dem 6. Gang heraus? Wir müssten erst Gang für Gang zurückschalten, mit Geduld, Akzeptanz und Rücksicht auf die Umstände. Aber bis wir tatsächlich anhalten können, ist der Urlaub wahrscheinlich schon vorbei. Wer hat schon drei Wochen (oder mehr) Zeit fürs Runterkommen? Außerdem ist es mit der Geduld hierbei oft nicht so gut bestellt, weswegen das Auto auch schon mal böse malträtiert wird, um zu funktionieren.
Die Lösung liegt auf der Hand: Unsere Standardgeschwindigkeit sollte im Mittelfeld liegen, um flexibel zu bleiben. Mal muss es schneller gehen, dann kann man wieder einen Ganz zurückschalten. Wenn es möglich ist, sollte man auch regelmäßige Pausen einplanen – wenn man das selbst nicht kann: viele Autos erinnern einen nach 2 Stunden daran: „time for a break!“. Nur so können wir sicher sein, dass wir die Kontrolle haben über das, was mit uns in diesem Leben, auf dieser Straße passiert. Nur so können wir im Urlaub ohne größere Probleme rechts ran fahren und uns und dem Auto eine Pause gönnen, den Tank (=unsere Batterien) aufladen und eine Bestandsaufnahme machen. Nur so können wir den Weg im Blick behalten und das große Ganze sehen.
Vom 3. Gang zum Parken zu gelangen ist möglich mit wenigen Schritten, und hier ist das Schalten nach oben und nach unten einfacher und eingespielt. Wenn wir ständig im 6. Gang fahren, dann verlieren wir leicht die Kontrolle über unseren Weg. Übrigens ist eine anständige Unterhaltung mit unserem Partner auch recht schwierig, wenn uns der Fahrtwind um die Ohren weht oder wenn wir beschäftigt sind, in unserem Tunnelblick den Verkehr im Auge zu behalten.
Mal einen Gang runterschalten
Für jeden ist die ideale Fahrgeschwindigkeit eine andere. Doch der Weg zum Parken, zum Stillstehen und einfach mal nirgendwo hinkommen müssen, ist immer der Gleiche: runter vom Gas, etwas abbremsen. Wenn man also eher zu den Rasern gehört, so kann es hilfreich sein, immer mal wieder zu bremsen und sich darauf zu besinnen, wo man jetzt gerade ist, wer neben uns im Auto sitzt und was gerade präsent ist. Diese kleinen Pausen, das Zurückschalten, können dem Körper und dem Geist enorm helfen, auf der Spur zu bleiben und innere Balance zu halten. Und dann kann es sogar gelingen, sich im Urlaub zu entspannen.